Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
Augenblick zog er mit den behandschuhten Fingern ein Einmachglas aus der Erde. Darin schwamm ein menschliches Herz in einer klaren Flüssigkeit, vermutlich Formaldehyd.
»Wir müssen gehen, Juno«, sagte Lydia. Er saß immer noch dort, wo sie ihn vor einer Stunde zurückgelassen hatte.
»Was haben Sie gefunden?«
»Vielleicht sollten wir ein andermal darüber reden.«
»Meinen Onkel?«
»Nein.«
Juno nickte.
»Warum kommen Sie nicht mit zu mir?«, schlug Lydia vor. »Sie können bleiben, solange Sie möchten.«
»Ich muss allein sein. Ich möchte in meiner vertrauten Umgebung bleiben«, sagte er gedehnt. »Ich will verstehen, was passiert ist.«
»Sie dürfen nicht hierbleiben, Juno. Sie sind Teil seines Plans, und er hat es garantiert auf Sie abgesehen.«
»Und auf Sie.«
»Ja, das kann sein. Aber um mich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wo möchten Sie hin?«
Auf dem Weg zu Bernard Hugos Haus setzte Lydia Juno bei Mrs Turvey ab, die ihn als Kind unterrichtet hatte. Als die alte Frau ihn herzlich in die Arme schloss, schien es ihn zu trösten.
»Lydia«, rief er, als sie schon wieder auf dem Weg zum Auto war. »Passen Sie auf sich auf. Tun Sie nichts Unüberlegtes.«
Seine Stimme klang seltsam eindringlich, und Lydia sah ihn fragend an.
»Machen Sie sich keine Gedanken um mich, Juno. Denken Sie nur an sich.«
Als Lydia durch Hugos Haus ging, versuchte sie, sich in Hugo hineinzuversetzen. Es fiel ihr nicht leicht. In der Abstellkammer des Elternschlafzimmers hingen ein paar zurückgelassene Kleidungsstücke, auf dem Bett lag eine dünne, verschmutzte Tagesdecke. Keine Fotos auf dem Nachttisch oder an den Wänden. Im Wohnzimmer standen nur ein abgewetzter Fernsehsessel und ein Klapptisch. Der Kühlschrank war leer, abgesehen von ein paar Dosen Budweiser und Essensresten in einer Tüte des Blue Moon Café.
Die Tüte war möglicherweise ein Beweisstück, und Lydia machte einen der Polizisten, die das Haus untersuchten, darauf aufmerksam. Womöglich hatte Maria Lopez ihrem Mörder die Tüte persönlich überreicht. Ob er wohl das Café oft aufgesucht hatte, bevor er sie umbrachte? Offenbar war er genauso einsam wie seine Opfer.
Sie ging wieder zurück in den »OP«. Es war gruselig, Fotos von sich, ihre eigenen Artikel und Buchumschläge in dieser Todeskammer zu sehen.
Chief Morrow gab der Polizei von New Mexico über Handy eine Personenbeschreibung von Bernard Hugo durch, die an alle Nachbarstaaten weitergeleitet wurde.
»Vergessen Sie nicht, auch die Regionalflughäfen, Bahnhöfe und Busterminals im Auge zu behalten«, hörte sie ihn sagen. »Ja … Ja … Tja, mir fällt nichts ein außer Colorado. Seine Frau lebt dort. Nein, ich kann mich nicht an ihren Mädchennamen erinnern, aber den kann man herausfinden. Ich rufe Sie wieder an.«
Lydia näherte sich dem kalt schimmernden Metalltisch. Die Arbeitsfläche, die Instrumente und der Rest des Zimmers waren makellos sauber. Sie stellte sich vor, wie blutig es hier ausgesehen haben musste, als Shawna mit aufgeschlitztem Brustkorb auf dem Tisch lag. Ein Zittern erfasste sie. Wahrscheinlich wollte der Mörder auch sie abschlachten.
Sie zuckte zusammen, als Jeffrey plötzlich hinter ihr auftauchte.
»Sicher ist er auf der Flucht«, sagte er mit übertriebener Entschiedenheit, so als müsste er sich selbst davon überzeugen. »Er wird nicht weit kommen.«
»Er ist noch nicht fertig.«
»Er wird jetzt nicht mehr an dich oder Juno herankommen. Ich lasse dich nicht mehr aus den Augen. Und vor dem Haus der Turveys sitzen zum Schutz von Juno zwei Detectives im Auto. Nun muss er einsehen, dass es vorbei ist.«
Lydia nickte. Sie wusste mit hundertprozentiger Gewissheit, dass Bernard Hugo ganz in der Nähe war. Er belauerte sie und wartete nur auf eine Gelegenheit, seinen Plan zu vollenden. Jeffrey schlang einen Arm um ihre Taille, und sie lehnte sich an ihn. Sie errötete, als sie seine Körperwärme spürte. Das Gefühl war ihr vollkommen neu. Trotz der grausigen Umstände spürte sie zum ersten Mal so etwas wie persönliches Glück.
»Wie geht es dir?«, fragte er.
»Wunderbar, und furchtbar schlecht«, antwortete sie. »Das alles ist so schlimm, aber der Rest … der Rest ist wunderbar.«
»Ich weiß«, sagte er, nahm ihre Hand und drückte sie.
Als die Sonne sank, setzte Lydia sich auf die Veranda der Hugos und hielt in einem kleinen Notizbuch die Ereignisse des Tages fest. Die Spurensicherung war immer noch im Haus. Energisch gab Jeffrey
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