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LYING GAME Und raus bist du

LYING GAME Und raus bist du

Titel: LYING GAME Und raus bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shepard Sara
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beim Tennis auf der Ersatzbank sitzen. Ich bewege die Hände und versuche, sie zu befreien und mir die Augenbinde abzunehmen, aber die Person, die sie gefesselt hat, kann offenbar Pfadfinder-Knoten binden. Wahrscheinlich wieder Laurel. Sicher hat Thayer ihr das beigebracht. Die beiden machten ständig so Survival-Quatsch.
    Die Reifen knirschen über Kies und rollen dann mit einem leisen, gleichmäßigen Geräusch über neuen Asphalt. Der Highway. Wo fahren wir hin? Ich lausche angestrengt auf die Gespräche im Auto, aber es herrscht Totenstille. Keine Musik dröhnt aus dem Radio. Kein Kichern ist zu hören. Nicht einmal ein Flüstern. Ich versuche, mein Knie zu bewegen, aber es wird durch den Ersatzreifen festgeklemmt. »Mmmmm«, rufe ich noch einmal lauter. »Mmmmm?« Ich trete gegen die mit Teppichstoff bezogene Seite des Kofferraums, die an die Rückbank grenzt. Hoffentlich habe ich einen Mitfahrer in den Rücken getroffen.
    Das Auto fährt weiter, die Reifen fressen die Highway-Kilometer. Der Knebel vor meinem Mund schneidet mir in die Haut. Mein Rücken schmerzt. Meine Finger werden in ihren engen Fesseln allmählich taub. Ich strampele wieder, aber es bringt nichts. Das Auto fährt einfach weiter. Und dann denke ich plötzlich: Vielleicht ist das ja gar kein Streich. Vielleicht bin ich gerade entführt worden.
    War ich eben noch amüsiert, so packt mich jetzt eiskalte Angst. Ich schreie, so laut ich kann, und wehre mich gegen das grobe Seil und den rauen Stoff, die in meine Haut schneiden. Meine Freundinnen und ich tun uns gegenseitig verrückte Dinge an, aber wir wissen, wann wir aufhören müssen. Wir haben noch nie jemanden ins Krankenhaus gebracht. Niemand wird verletzt – zumindest nicht körperlich. Ich denke an die Stimme, die mir ins Ohr geflüstert hat. Ich dachte, es sei Charlotte gewesen, die mit Baritonstimme sprach. Aber vielleicht habe ich mich da getäuscht. Ich trete gegen die Rückbank, ändere dann meine Position, so gut es geht, und trete gegen die Decke über mir. Hoffentlich springt der Kofferraum dadurch auf. Ich trete und trete, die Flipflops habe ich schon längst verloren. Wir sind schon weit gefahren, wahrscheinlich in die Wüste hinaus. Dort wird mich niemand finden. Sie werden nicht einmal wissen, wo sie suchen sollen. »Mmmmm«, schreie ich wieder und wieder.
    Endlich hält das Auto an. Unerwartet. Ich werde nach vorne katapultiert und schlage mir das Kinn an der Rückwand an. Eine Tür knallt. Schritte knirschen auf dem Erdboden. Ich erstarre, heiße Tränen in den Augen. Es piept wieder, und der Kofferraumdeckel geht auf. Ich rolle mich auf den Rücken und versuche, durch den Schal über meinen Augen etwas zu erkennen. Undeutlich sehe ich den Schein einer Straßenlaterne und links vorbeihuschende Autoscheinwerfer. Eine breitschultrige Gestalt ragt im Gegenlicht vor mir auf. Durch meine dünne Augenbinde kann ich rotes Haar um ihren Kopf schimmern sehen. »Mmmm«, schreie ich verzweifelt. Aber dann versinkt alles wieder in Dunkelheit.

19 – Anwesenheit ist Pflicht
    Ich war wieder zurück in Charlottes Bad und schaute Emma dabei zu, wie sie sich im Dunkeln vortastete. Die Erinnerung, die ich gerade gesehen hatte, ließ mich wenigstens in einer Hinsicht erleichtert aufatmen. Mein Tod war nicht die Folge eines Streichs gewesen, den ich mir selbst ausgedacht hatte. Ich hatte Emma nicht böswillig hierhergelockt. Ich hatte nicht mit ihren Gefühlen gespielt, nur um meinen Freundinnen eins auszuwischen. Mir ging es ein bisschen besser. Ich war sicher kein Engel gewesen, aber wenigstens hatte ich meine verschollene Zwillingsschwester nicht so leichtfertig und gedankenlos benutzt wie ein Papiertaschentuch zum Naseputzen.
    Emma schaffte es endlich, den Türknauf zu finden. Sie drehte ihn und stand wieder in Charlottes Schlafzimmer. Fünf Handys leuchteten auf dem Teppich und warfen lange Schatten auf die Gesichter meiner Freundinnen.
    »Was ist passiert?«, flüsterte Emma.
    »Stromausfall.« Charlotte trank ihr Glas leer. Sie klang genervt.
    Es klopfte an der Tür, und alle schrien auf. Schnell schob Charlotte die Wodkaflasche und die Gläser unters Bett. Einen Augenblick später leuchtete Mrs Chamberlain mit einer Taschenlampe ins Zimmer. »Seid ihr Mädels okay?«
    »Ist bei den Nachbarn auch der Strom weg?«, fragte Charlotte. Emma bemerkte, dass sie die Worte sehr sorgfältig artikulierte, wodurch sie nur noch betrunkener klang.
    Mrs Chamberlain ging zum Fenster und schaute hinaus.

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