LYING GAME Und raus bist du
fiel etwas Schweres auf ihr Schlüsselbein. Sie tastete vorsichtig danach. An einer Kette um ihren Hals hing ein rundes Medaillon – Suttons Medaillon, nach dem Emma vergeblich in deren Schmuckschatulle gesucht hatte. Das Medaillon, das Sutton in dem Snuff-Video getragen hatte. Die Kette entsprach genau den frischen roten Würgemalen an Emmas Hals.
Und wieder schlug ihre Welt einen Purzelbaum.
Sutton war wirklich tot, daran hatte sie jetzt keinen Zweifel mehr. Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie legte sich eine zitternde Hand auf den Mund, um ihr Schluchzen zu dämpfen.
Dann drehte sie sich einmal um die eigene Achse und betrachtete panisch die Küche, den Türrahmen, das mit Regalen gefüllte Arbeitszimmer, die Freitreppe und die majestätische Eingangstür.
Ihr Blick blieb an einem roten, ununterbrochenen Laserstrahl hängen, der quer über die Tür verlief. Daneben hing das Bedienfeld einer Alarmanlage, bei dem ein grünes Lämpchen über dem Wort »aktiv« glühte. Emma schlich sich zu dem Gerät. Sie hatte kurzzeitig bei einer Familie in Reno gelebt, die genau die gleiche Alarmanlage gehabt hatte – sie hatten einen Schrank voller wertvollem antikem Wedgwood-Porzellan besessen, aber vier Pflegekinder in einem einzigen, engen Schlafzimmer eingepfercht –, und Emmas Pflegebruder hatte ihr gezeigt, wie man sie bediente. Sie drückte auf den Pfeil, der nach unten zeigte, und rief eine Liste der Zeiten auf, an denen die Anlage ein- und ausgeschaltet worden war. Der letzte Eintrag lautete »Aktiviert 20:12«. Um diese Zeit hatte Mrs Chamberlain Emma und Laurel ins Haus gelassen. Es gab keinen Eintrag darüber, dass Mrs Chamberlain das System nach dem Stromausfall neu aktivieren musste. Der Ausfall hatte die Alarmanlage demnach also nicht beeinträchtigt. Sie war auch nicht ausgelöst worden, was bedeutete, dass Emmas Angreifer weder durch die Tür noch durch ein Fenster ins Haus gelangt war. Wie war er dann reingekommen? Und wie wieder hinaus?
Emma hob den Kopf. Ihr wurde schwindelig. Vielleicht hatte es der Angreifer gar nicht nötig gehabt, die Alarmanlage zu umgehen. Vielleicht war er ja die ganze Zeit im Haus gewesen. Sie dachte an die Stimme in ihrem Ohr. Ich habe dir gesagt, du sollst mitspielen. Ich habe dir gesagt, du sollst hierbleiben. Und dann dachte sie an den Anruf von Charlotte und Laurel heute. Bist du am Greyhound-Busbahnhof?, hatte Laurel gefragt. War das möglich?
Ich war mir ziemlich sicher, dass es möglich war. Ich dachte an meine neue Erinnerung. Die breitschultrige Gestalt, die vor mir aufgeragt war. Das rote Haar, das ihren Kopf umleuchtet hatte. Die Person, die Emma gewürgt hatte, war tatsächlich hier im Haus. Sie war eine meiner besten Freundinnen.
20 – Liebes Tagebuch, heute bin ich gestorben
Sobald Laurel am Samstagmorgen vor dem Haus der Mercers hielt, hechtete Emma aus dem Auto, riss die Haustür auf und rannte die Treppe hinauf. Dabei warf sie beinahe Mrs Mercer um, die mit einem Stapel frisch gewaschener Wäsche durchs Foyer ging. »Sutton?«
»Ich muss nur …«, murmelte Emma und verstummte dann. Sie erreichte Suttons Schlafzimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Als Erstes fiel ihr Blick auf einen hohen Stapel pinkfarbener Umschläge, die auf Suttons Bett lagen. RSVP stand auf dem obersten. Emma betrachtete einen ihr unbekannten Mädchennamen, der mit rosa Tinte auf der Karte stand. »Kann’s kaum erwarten!«, hatte das Mädchen hinzugefügt. Emma drehte die Karte um. »Sutton Mercers Geburtstagsparty, Freitag, 10. September. Geschenke sind optional, Glamour ist Pflicht!«
Auf dem Bett lagen mindestens fünfzig solcher Umschläge.
Emma sank aufs Bett und warf dabei ein paar Karten a uf den Boden. Sie fühlte sich, als stecke ihr Kopf in einem Schraubstock. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, spürte sie, wie sich die Halskette in ihre Kehle bohrte, und hörte die Stimme in ihrem Ohr: Spiel weiter deine Rolle, sonst bist du dran.
Sie hatte die ganze Nacht und wie gelähmt vor Angst wegen des Überfalls in der Küche wach in Charlottes Schlafzimmer gelegen und die neuen Informationen verdaut. Währenddessen lief das Hauptmenü der The-Hills - DVD in Endlosschleife. Jemand hatte Sutton getötet – und zwar eine ihrer besten Freundinnen.
Wie hatten es meine Freundinnen oder meine Schwester nur fertiggebracht, so etwas zu tun? Aber dann dachte ich daran, wie gemein ich am Abend bei den Thermalquellen zu ihnen allen gewesen war. Vielleicht war ich ja
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