LYING GAME Und raus bist du
doch sicher bei sich aufnehmen, nach all dem Ärger, den sie ihr bereitet hatte. Falls das irgendein kranker Test gewesen war, hatte Emma schließlich mit fliegenden Fahnen bestanden, richtig? Sie stellte sich die fassungslosen Gesichter der Mercers vor, wenn sie herausfanden, dass Emma ihnen bei ihrem ersten gemeinsamen Frühstück die Wahrheit gesagt hatte. Vielleicht durfte sie ja in ihrem Gästezimmer einziehen. Sich mit ihnen an den Tisch setzen. Machte sie sich unrealistische Hoffnungen?
Meiner Meinung nach nicht. Nur würde es leider niemals dazu kommen.
Emmas Mund war pelzig vom Wodka. Sie suchte nach ihrem Wasserglas, konnte es aber nicht finden. So leise als möglich glitt sie von der Couch und schlich auf Zehenspitzen zur Tür hinaus und die Treppe hinunter. Der Mar morboden im Foyer fühlte sich unter ihren Füßen wie ein e Eisfläche an. Die kantige Garderobe bei der Eingangstür erinnerte sie an eine riesige Tarantel. Emma zog heftig den Atem ein und ging auf einen bläulichen Lichtschimmer am Ende des Flurs zu.
Die Digitaluhren über der Mikrowelle und dem Ofen leuchteten blaugrün. Ein Metallkronleuchter hing über der zentralen Kochinsel. Emmas Haut kribbelte vor Angst und Aufregung. Sie legte den Kopf schief und lauschte nach Anzeichen dafür, dass Sutton sich an sie heranschlich. Atemzüge. Kichern. Aber da war nichts. Emma na hm sich ein Wasserglas aus dem Schrank und stellte de n Wasserhahn an. Das Wasser plätscherte laut ins Waschbecken. Als sie ihr Glas ausgetrunken hatte und sich wieder der Treppe zuwandte, hörte sie ein Knarren.
Sie blieb stehen und schaute sich um. Ihr Herz hämmerte. Die Uhren sprangen synchron von 2.06 auf 2.07. Es knarrte wieder.
»Ist da jemand?«, flüsterte Emma. Es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Und dann hörte sie plötzlich ein lautes Krachen. Schmerz schoss durch ihre Hüfte. Sie versuchte, sich umzudrehen, aber jemand drückte sie fest gegen die Kochinsel und legte ihr eine Hand vor den Mund. Das Glas fiel Emma aus der Hand und fiel klirrend zu Boden. Plötzlich hatte sie nackte Todesangst. »Mmmmm!«, schrie sie.
Die Gestalt gab sie nicht frei, sondern presste ihren warmen Körper dicht an sie. »Mach bloß keinen Mucks«, sagte eine Stimme an ihrem Ohr. Sie war heiser und undeutlich, ein bloßes Flüstern. »Was hast du dir dabei gedacht? Ich habe dir gesagt, du sollst mitspielen. Ich habe dir gesagt, du sollst hierbleiben.«
Emma versuchte, den Kopf zu drehen und zu erkennen, wer da hinter ihr stand, aber die Gestalt schubste sie nach vorne und drückte ihre Wange auf die Kochinsel. »Sutton ist tot«, sagte die Stimme unbarmherzig. »Spiel deine Rolle weiter, bis ich dir etwas anderes sage. Und versuch bloß nicht noch mal, die Stadt zu verlassen, sonst bist du dran.«
Emma wimmerte. Die Hand drückte ihr Handgelenk so fest, dass sie fürchtete, sie werde ihr gleich die Knochen brechen. Dann legte sich etwas Kaltes, Metallisches um ihren Hals. Enger und enger, bis ihre Luftröhre eingedrückt wurde. Ihre Augen traten hervor. Sie fuchtelte mit den Armen, aber der Draht zog sich nur noch fester um ihren Hals. Sie kämpfte um Atem, aber sie konnte nicht einatmen, nicht schlucken. Sie bäumte sich auf und spürte, wie ihre Beine zu kribbeln begannen.
Ich starrte entsetzt auf die Szene. Auch mein Blick war vernebelt, und ich konnte nur erkennen, dass die Gestalt breite Schultern hatte. Wie der Schatten, der in der Erinnerung, die ich gerade zurückbekommen hatte, über meinem im Kofferraum liegenden Körper aufgeragt war. Auch die Stimme hatte ganz ähnlich geklungen.
Aber dann lockerte sich der Draht um Emmas Hals. Die Gestalt zog sie hoch, bis sie aufrecht stand. Grelle Flecken tanzten vor ihren Augen. Luft strömte in ihre Lungen, und sie beugte sich vor und hustete.
»Jetzt schau nach unten und zähl bis einhundert«, befahl die Gestalt. »Schau erst hoch, wenn du fertig bist. Sonst …«
Zitternd drückte Emma ihre Stirn auf die Arbeitsplatte der Kochinsel und begann laut zu zählen. »Eins … zwei …«
Schritte erklangen hinter ihr. Ich versuchte zu erkennen, wer es war, aber die Gestalt war nur als dunkler Schatten zu sehen.
»Zehn … elf …«, zählte Emma. Eine Tür knallte. Emma hob vorsichtig den Kopf. Die Küche war so still und verlassen wie vor fünf Minuten. Sie schlich auf Zehenspitzen zur Tür und spähte hinaus, aber der Angreifer war verschwunden.
Nach Luft ringend beugte sie sich nach vorne. Als sie wieder aufstand,
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