LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
Glassplitter.
Sie kauerte sich auf den Boden und berührte einen Splitter. Das bernsteinfarbene Glas passte perfekt zu dem Glas in dem Scheinwerfer, der ihr beinahe den Schädel zertrümmert hatte.
20
Vampire zur Linken, Stalker zur Rechten
»Seid willkommen!« Ein pickliger Teenager mit Dracula-Umhang, Vampirgebiss und aufgemaltem spitzen Haaransatz sprang ihnen in der Eingangstür von Scare-O-Rama, Tucsons bestem Halloween-Laden, entgegen. »Kann ich euch helfen? Ihr Mädels seht wirklich zum Anbeißen aus.« Sein Lachen klang wie das von Graf Zahl aus der Sesamstraße .
»Uh, nein«, sagte Laurel und drängte sich an ihm vorbei. Dracula verbarg sein Gesicht in seinem Cape wie ein von einem Kruzifix bedrohter Vampir und eilte zu seinem Platz an der Kasse zurück.
Es war Donnerstagabend und die Hofstaat-Zeremonie war erst ein paar Stunden her. Emma und Laurel waren auf der Suche nach passenden Kostümen für den Schulball. Ehrlich gesagt hätte Emma sich am liebsten in Suttons Bett zusammengerollt und den Sternen gedankt, dass der Scheinwerfer nicht ein paar Zentimeter weiter links abgestürzt war, aber schließlich fügte sie sich Laurels Bitten und kam mit. Der Ball war schließlich schon morgen – ihr lief die Zeit davon. Und dass sie kein Date hatte, bedeutete ja nicht, dass sie nicht gut aussehen konnte. Aber es fühlte sich gefährlich an, das Haus zu verlassen, denn Gabby und Lili konnten überall auf sie lauern.
Emma ging immer wieder auf ihre geheimen Twitter-Konten, aber seit Gabbys Tweet vom Nachmittag hatten die Zwillinge nichts mehr gepostet. Emma brauchte Beweise – hieb-und stichfeste Beweise. Aber sie hatte bereits überall vergeblich gesucht – in Suttons Schlafzimmer, ihrem Haus, auf ihrem iPhone, Facebook und Co. und in zwei Spinden.
Laurel griff nach Emmas Arm und führte sie zu den Kleiderständern mit Kostümen, die überall im Laden verteilt waren. Feuergabeln, glitzernde Zylinder, Scream -Masken und Gummispinnen hingen an den Wänden. Zerrspiegel ließen Emma entweder plump oder spindeldürr erscheinen. Natürlich dröhnte »Monster Mash« aus den Lautsprechern und Dracula und seine Kollegin – ein großes, in ein Lederbustier gezwängtes Mädchen – wippten im Takt mit. Laurel ging zu einem Ständer mit Reifröcken im Südstaaten-Stil und berührte den falschen Taft. »Ich habe Lust auf was Altmodisches.« Sie setzte sich eine Haube auf und band sie unter ihrem Kinn fest. »Was meinst du? Steht sie mir?«
Trotz ihrer Erschöpfung kicherte Emma. »Steht dir sehr gut.« Beide kicherten lauthals. Ausnahmsweise fühlte sich Emma Laurel nah, beinahe so, als sei sie wirklich ihre Schwester. Das Einzige, was fehlte, war Sutton selbst.
Ich hätte mir so sehr gewünscht, mit Emma und Laurel einzukaufen, alberne Hexenhüte und Pappnasen anzuprobieren. Eine leibliche Schwester zu haben, würde alles verändern. Emma und ich würden sofort eine Familie bilden, eine andere Art Familie als die, die ich kannte. Auf sie brauchte ich nicht neidisch zu sein, weil meine Eltern sie mehr liebten als mich. Wir wären für immer aneinander gebunden und ich würde mir alle Mühe geben, ein gutes Verhältnis zu ihr zu haben.
Emma und Laurel wühlten sich durch Madonna-Kegel-BHs, Hausmädchen-Uniformen und ein Regal mit rosafarbenen Tutus, für die Emma mit vier Jahren alles gegeben hätte. Nach ein paar Minuten zog Laurel ein Leopardenkostüm heraus, begutachtete es und schüttelte dann den Kopf. »Das ist es auch nicht. Es muss perfekt sein.«
»Es ist doch nur ein Schulball«, murmelte Emma. »Warum ist dir das so wichtig?«
Quietschend schob Laurel ein paar Kleiderbügel zur Seite. »Caleb steht total auf Halloween. Und ich will, dass der Abend toll wird.« Sie biss sich auf die Lippe.
Emma musste lächeln. »Stehst du auf ihn?«
Laurel wirkte verlegen. »Ich weiß, dass er ziemlich blöde Witze erzählt. Und er spielt auch nicht in der Auswahlmannschaft Tennis. Aber er ist echt nett und wir haben viel Spaß miteinander.«
Es dauerte einen Moment, bis Emma begriff, dass Laurel sie um ihren Segen bat und sich gleichzeitig dafür entschuldigte, dass sie einen Typen gewählt hatte, der womöglich nicht den Standards ihrer Clique entsprach. »Wichtig ist nur, dass du dich mit ihm wohlfühlst«, sagte sie und lächelte Laurel aufrichtig an. »Ich finde ihn extrem süß.«
Laurel strahlte. »Wirklich?«
Emma nickte. »Wirklich.«
Laurels Mund verzog sich zu einem erleichterten Lächeln. Ich
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