LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
»Hast du dich im Halloween-Laden erschreckt? Hattest du Angst, dir fällt noch ein Scheinwerfer auf den Kopf?«
Emma schluckte, Gabbys Worte trafen sie wie ein Messer. Noch nie hatte ihr Herz so schnell und laut geklopft wie jetzt. Aber sie sagte sich, dass die Zwillinge ihr heute nichts antun konnten – denn schließlich wusste Laurel, dass sie mit ihr zusammen waren. Emma straffte die Schultern, strich sich das dunkle Haar zurück und zapfte das Sutton-Reservoir tief in ihrem Inneren an. »Nein, mich haben nur eure Outfits erschreckt«, zischte sie und betrachtete missfällig Lilis schräge Kombination aus gepunkteter Bluse und kariertem Rock. »Wart ihr besoffen, als ihr euch angezogen habt?«
Lili schniefte. »In der neuesten Vogue steht, dass Mustermix wieder in ist.«
»So etwas solltest du eigentlich wissen«, fügte Gabby schnippisch hinzu.
»Was ist denn heute mit euch los, Ladys?« Emma versuchte, entnervt zu klingen. »Seid ihr immer noch sauer wegen dem Streich bei eurer Hofstaat-Zeremonie?«
»Also wirklich, Sutton.« Lili öffnete die Beifahrertür. »Den haben wir doch gar nicht registriert.«
Gabby schubste Emma auf den Rücksitz, der überwältigend nach Parfüm roch. Die Twitter-Zwillinge stiegen ein und Gabby ließ den Motor an. Ihre blauen Augen trafen Emmas Blick im Rückspiegel. »Zum Abschlepphof, richtig?«
Emma nickte, und die Zwillinge tauschten einen Blick und kicherten so geheimnisvoll, dass sich Emma der Magen umdrehte. Dann steuerte Gabby das Auto aus dem Parkplatz und bog an der Ampel links ab. Lili tippte auf ihrem iPhone. Emma erkannte das kleine Twitter-Logo auf dem Display. Sie beugte sich vor, weil sie unbedingt einen Blick auf den Tweet werfen wollte. Schrieb Lili unter ihrem Geheimnamen? Sendete sie Gabby eine geheime Botschaft?
Lili legte den Kopf schief, als sie Emmas Neugier bemerkte. Emma wich zurück und tat so, als interessiere sie sich für die Aussicht. Lili bedeckte grinsend das Display mit der Hand. Emma zog ihr eigenes Handy heraus und überprüfte Lilis Twitter-Account, aber es waren keine neuen Tweets zu sehen.
Gabby fuhr auf die Autobahn, wo sie ständig die Spur wechselte, um zu überholen, und dabei einem schnell fahrenden Milchlaster beinahe den Weg abschnitt. »Na, Sutton? Freust du dich auf morgen Abend?« Sie drehte sich um, schaute Emma an und achtete nicht mehr auf die Straße.
»Gabby!«, schrie Emma und zeigte mit ihrem Handy auf die Fahrbahn. Durfte Gabby überhaupt Auto fahren? Bekamen Epileptiker den Führerschein?
Gabby zog einen Mundwinkel hoch, aber sie drehte sich immer noch nicht um. »Aber Sutton, ich dachte, du lebst gern gefährlich!«
»Whooo, whooo«, johlte Lili schrill. Ihre Finger flogen über das Display.
Autos hupten dem SUV hinterher und Emma brach der Schweiß aus. Sie legte Gabby eine Hand auf die Schulter, als ein Pick-up-Truck ihr in letzter Sekunde auswich. »Gabby, bitte!«
Kurz bevor sie mit einem Jeep Cherokee zusammenstieß, schaute Gabby wieder nach vorne und steuerte das SUV in aller Ruhe wieder auf die rechte Spur, als seien sie nie in Gefahr gewesen.
»Wir freuen uns wirklich auf den Schulball, Sutton«, sagte sie und führte das Gespräch von vorher fort, als sei nichts passiert. »Das ist ein großer Abend für uns. Du wirst tot umfallen, wenn du uns siehst!«
Emma zuckte zusammen. »Wie bitte?« Sie packte den Türgriff und wünschte sich sehnlichst, sie könne sofort aussteigen.
Lili kicherte. »Unsere Kostüme sind endgeil.«
»Was dachtest du denn?«, fragte Gabby höhnisch gackernd. Die Mädchen tauschten wieder einen Blick, als wüssten sie ganz genau, wie viel Angst sie Emma einjagten.
In diesem Moment bog Gabby in eine Ausfahrt und fuhr kurz darauf auf das Gelände eines schäbigen Abschlepphofes. POLIZEI TUCSON ABSCHLEPPHOF stand auf einem Schild am Maschendrahtzaun. Als sie auf den Zaun zufuhren, kam ein stämmiger Mann mit kahl geschorenem Kopf aus einem kleinen, nussbraunen Häuschen und bedeutete Gabby, das Fenster herunterzulassen.
Sobald das Auto seine Fahrt verlangsamt hatte, öffnete Emma die hintere Tür und sprang hinaus.
»Sutton!«, rief Gabby. »Was zum Henker …?«
»Ab hier komme ich klar«, schrie Emma. Sie war erleichtert, dass sie jetzt neben dem Arbeiter stand, dessen muskulöse Arme und bedrohliche Tattoos ihr paradoxerweise das Gefühl von Sicherheit gaben. »Aber vielen, vielen Dank fürs Mitnehmen!«
Das SUV mit den naserümpfenden Twitter-Zwillingen blieb noch
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