LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
herschwappte. Emma sah wieder den herabstürzenden Scheinwerfer vor sich. Sie starrte Ethan an. »Die reden von mir.«
Meine Konfrontation mit Lili am Abend von Gabbys Unfall fiel mir wieder ein. Ich hatte ihr gesagt, sie solle den Mund halten, sonst würde ich ihr Leben ruinieren. Aber vielleicht hatten sie und ihre Schwester stattdessen ja meines ruiniert.
»Tu mir einen Gefallen und mail mir die bitte«, sagte Emma zu Ethan. »Alle. Ich kann nicht riskieren, dass sie wie das Snuff-Video plötzlich weg sind.«
»Okay.« Ethan nahm das Handy und begann, die Tweets zu kopieren.
Gedämpfte klassische Musik drang von nebenan durch die Wand, denn dort probte das Orchester. Plötzlich tat Emma jeder Knochen so weh, als habe sie mehrere Marathonläufe hinter sich. »Was für ein Albtraum«, sagte sie und ließ sich auf die dünne Matratze auf der Liege fallen. »Jetzt, wo ich weiß, dass ich es mit zweien zu tun habe, weiß ich noch weniger, was ich machen soll. Und wollten sie mich nur erschrecken? Oder mich umbringen? Und falls sie mich umbringen wollten: Wie lange wird es dauern, bis sie es wieder versuchen?«
Ethan murmelte mitfühlend etwas, wusste aber auch keine Antwort. »Ich hätte so gerne mal einen Tag frei«, murmelte Emma. »Oder wenigstens ein paar Stunden.« Sie dachte an Freitagabend. Es war schwer genug, bei Tag auf die Twitter-Zwillinge zu achten. Aber bei einem dunklen Schulball mit Geisterhaus-Thema? Ganz alleine? Sie warf Ethan einen Seitenblick zu. »Ich habe da eine Idee.«
Ethan steckte sein Handy in die Tasche. »Lass hören.«
»Hast du vielleicht Lust, mit mir zum Schulball zu gehen?« Emma deutete auf den Halloween-Ball-Flyer, der an der Wand des Krankenzimmers hing. Er zeigte ein Skelett, das mit einer Hexe Foxtrott tanzte.
Ethan zuckte zusammen. »Emma …«
Emma schnitt ihm das Wort ab, bevor er sagen konnte, wie sehr er Bälle hasste. »Wir könnten gemeinsam die Zwillinge beobachten, dann müsste ich nicht alleine auf sie aufpassen. Und es könnte sogar witzig werden. Wir könnten uns bescheuerte Kostüme anziehen und uns an den fantastischen Törtchen überfressen, die vom Caterer geliefert werden. Wir könnten tanzen – oder nicht tanzen, falls du total dagegen bist. Dann lachen wir eben über die Leute, die den ganzen Schmu total ernst nehmen.«
Ethan verschränkte die Hände im Schoß. »Ich bin gar nicht gegen den Ball. Aber … na ja, ich habe schon ein Date.«
Emma blinzelte. Sie fühlte sich, als habe ihr jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gekippt, und einen Moment lang war ihr Gehirn völlig leer. »Oh«, sagte sie dann ein paar Sekunden zu spät. »Oh, okay, toll! Schön für dich!«
Ethan sah sie mit einem beinahe komischen, zerknirschten Gesichtsausdruck an. »Ich meine, du hast doch gesagt, du willst nur Freundschaft. Du hast gesagt, du seiest nicht interessiert.«
»Ich weiß! Das habe ich!« Emmas Stimme wurde so peinlich hoch wie immer, wenn sie versuchte, besonders fröhlich zu klingen. »Ich meine, wir wären auch nur als Freunde hingegangen. Aber so ist es viel besser. Ich freue mich für dich! Du wirst so viel Spaß haben!«
Das Zimmer wirkte plötzlich viel zu klein für sie beide. Emma sprang auf. »Äh, ich muss los.«
Ethan stand auf. »Was? Wohin denn?«
»Ich … ich sollte in die Aula zurück.« Emma suchte nach der Türklinke. »Die Party läuft noch. Ich sollte mithelfen. Außerdem sind meine Sachen noch dort.«
»Aber …« Ethan hängte sich seine Tasche um und folgte ihr, aber Emma wollte nicht mehr mit ihm reden. Sie winkte ihm so sorglos zu, wie sie konnte. »Ich ruf dich später an«, versprach sie, obwohl sie das keinesfalls vorhatte. Eilig marschierte sie auf den Flur hinaus, bog um die Ecke und sackte dann gegen ein Spind.
Im Flur war es still, der Nachmittagsunterricht war noch im Gange. Emma hörte ihren keuchenden Atem. Ein Schluchzer stieg in ihrer Kehle auf, aber sie schluckte ihn schnell hinunter. »Du hast deine Chance gehabt«, flüsterte sie sich wütend zu. »Du hast dich entschieden. Und es ist wirklich besser so.«
Ein Kichern schwebte durch den Flur. Emma erstarrte und spitzte die Ohren. Hinter der Ecke atmete jemand aus und schnaubte dann triumphierend. Ein Schatten fiel auf den Boden. Hatte sie jemand beobachtet? Sie belauscht?
Emma sprintete durch den Flur, aber hinter der Ecke war niemand. Als sie einatmete, roch sie einen Hauch von Kokosnuss-Parfüm. Und auf dem Boden sah sie ein paar winzige
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