LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
kratzte über Emmas Schienbein. Dann drehte sich Gabby um und blickte zu den anderen zurück. »Bin ich dran? Gut. Eins: Meine Schwester und ich haben bei der Wahl des Hofstaats geschummelt. Zwei: Kevin und ich haben im Geisterhaus neben dem Einmachglas mit den falschen Augäpfeln geknutscht. Und drei …« Sie legte eine Kunstpause ein. Grillen zirpten. In weiter Ferne quietschten Bremsen. »Ich habe einmal eine Leiche berührt.«
Der Wind heulte in Emmas Ohren und ihr sprang das Herz in die Kehle.
Ich zitterte. War es meine Leiche gewesen? Ich brauchte Emma mehr als je zuvor: Sie musste Gabby und Lili überführen und den Mord an mir aufdecken. Sie mussten dafür bezahlen, was sie mir angetan hatten.
Laurel schnaubte. »Eine Leiche? Ja, klar.«
Blut pulsierte in Emmas Ohren. Sie musste sich enorm anstrengen, um einen Fuß vor den anderen zu setzen, denn wenn sie jetzt umkehrte, würde sie sich verirren … mindestens.
»Aber wenn das die Lüge ist, bedeutet das, dass ihr bei der Wahl geschummelt habt«, murmelte Madeline. »Und ich glaube nicht, dass euch das gelungen wäre.«
»Weiß nicht. Meinst du nicht, dass ich dazu fähig bin?«, höhnte Gabby. Sie drehte sich um und starrte Emma an. Ihre Gesichtszüge waren im Dunkel zwar nicht zu erkennen, aber Emma merkte, dass Gabby grinste. »Was traust du mir denn zu, Sutton?«
Plötzlich endete der Pfad und die Mädchen blieben stehen. Statt vor einer heißen, blubbernden Quelle standen sie am Rand einer Klippe. Steinchen rollten den Abhang hinunter. Im spärlichen Mondlicht sahen sie Zweige in die Schlucht ragen. Es war zu dunkel, um zu erkennen, wie tief sie war.
Ein Windstoß heulte über den Pfad und wirbelte Emma tote Blätter vor die Füße. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass es ein schrecklicher Fehler gewesen war, Gabby zu unterschätzen. Sie standen auf einem einsamen Berghang, ohne Taschenlampen und Handyempfang. Ein falscher Schritt, ein Taumeln, und Emma würde die Schlagzeile schreiben, die Gabby und Lili sich wünschten: Mädchen stirbt durch tragischen Wanderunfall. Es war das perfekte Szenario. Wenn Emma hier draußen starb, würden alle denken, dass Sutton Mercer bei einem verhängnisvollen Trinkspiel gestorben war. Niemand musste mehr einen Mord vertuschen und niemand mehr Suttons Platz einnehmen. Alles wäre auf einen Schlag vorbei.
»Äh, Gabby?« Madeline trat von einem Fuß auf den anderen. »Sind wir irgendwo falsch abgebogen?«
»Nö.« Gabby schlug auf ihre Taschenlampe und versuchte noch einmal, sie anzuschalten. Sie funktionierte immer noch nicht. »Der Pfad geht auf der anderen Seite des Grabens weiter. Das ist ein ganz leichter Sprung, das schwöre ich.«
Gabby deutete nach vorne. Tatsächlich ging der Pfad hinter der Schlucht weiter.
»Ich springe da nicht rüber«, sagte Emma mit zitternder Stimme.
»Doch, klar«, sagte Gabby amüsiert. »Nur so kommen wir zu den Quellen.«
Ein Augenpaar glühte auf einem Ast über Emma auf. Sie erkannte den Umriss eines Virginia-Uhus.
Madeline drängte sich an ihnen vorbei. »Also los. Ich habe keine Lust mehr auf Wandern.« Sie hielt ihre Rucksackträger fest und sprang mit einem eleganten Ballettsprung über den Graben. Sie erreichte mühelos die andere Seite. »Total easy«, rief sie von drüben.
Gabby ließ zuerst Charlotte und dann Laurel springen. Aber als Emma versuchte, sich an ihr vorbeizuschlängeln, streckte Gabby den Arm aus und hielt sie auf.
»Nicht so schnell«, sagte sie sehr leise.
Emma rutschte das Herz in die Magengrube. Es war so weit.
»Lauf, Emma!«, schrie ich meine Schwester an. »Hau ab!«
Auf der anderen Seite des Grabens warteten die anderen Mädchen. »Na los, Mädels«, rief Madeline. »Was ist denn los?«
Langsam streckte Gabby Emma die Hand entgegen und packte sie dann am Handgelenk. Emma zuckte zurück. Plötzlich war ihr klar, was gleich passieren würde. Gabby würde sie in den Graben stoßen. Sie würde sie sauber und ordentlich innerhalb von wenigen Sekunden töten und dann allen erzählen, Sutton sei gefallen oder gestolpert. Eine neue Schlagzeile erschien in Emmas Kopf. Mädchen kommt mit Mord davon – Doppelmord.
Auf einmal brach ein Damm in Emmas Körper. Sie würde heute Nacht nicht sterben. »Lass mich los!«, schrie sie und stieß Gabby zurück.
Die Steine unter Gabbys Füßen gerieten ins Rutschen. Ihr Mund formte ein kleines O. Ein Rascheln, dann wedelte sie wild mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Die Zeit beschleunigte
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