LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
Dankbarkeit überwältigt. »Dann vielen Dank. Ich stand kurz vorm Ertrinken.«
Auf Ethans Gesicht zeichnete sich Überraschung ab. »Du wirkst aber wie ein Mädchen, das immer den Kopf über Wasser behält.«
Das Mondlicht malte einen hellen Fleck auf seine Wange, und Emma hätte ihn gerne berührt. Er rückte ein Stückchen näher, bis sich ihre Knie berührten, und neigte sein Gesicht zu ihr, als wolle er sie küssen. Emma spürte die Wärme seines Körpers, als er noch näher kam, und sie konnte den Blick nicht von seiner vollen Unterlippe abwenden.
Ihre Gedanken rasten und sie erinnerte sich an den gestrigen Abend. Ethan hatte ihr irgendwann gesagt, er habe sich in das Mädchen verknallt, das Suttons Platz eingenommen habe. In sie, Emma. Jedes andere Mädchen hätte wahrscheinlich gewusst, wie sie ihn sich schnappen konnte. Emma bewahrte in ihrem Tagebuch eine Liste mit Flirt-Techniken auf, aber sie hatte noch nie einen dieser Tricks eingesetzt.
Knack.
Emma fuhr hoch und blickte nach rechts. Hinter dem Tennisplatz sah sie neben einem Baum das schwache, blaue Licht eines Handy-Displays, als stünde dort jemand, der sie beobachtete.
»Siehst du das?«
»Was?«, flüsterte Ethan.
Emma reckte den Hals, aber nun war alles dunkel. Und es beschlich sie das beunruhigende Gefühl, dass jemand sie und Ethan beobachtet – und belauscht – hatte.
3
Dreh dich, Scheibe, dreh dich …
Am Montagmorgen saß Emma hinter einer Töpferscheibe im Keramikraum der Hollier High. Sie war umgeben von zementgrauen Tonklumpen, hölzernen Gravierwerkzeugen und schiefen Schüsseln, die darauf warteten, gebrannt zu werden. Die Luft roch nach feuchter Erde und man hörte das Surren der sich drehenden Scheiben und das Klackern von Absätzen auf den Fußhebeln.
Madeline kauerte auf dem Hocker rechts von Emma und starrte ihre Töpferscheibe so böse an, als handle es sich um ein Folterwerkzeug.
»Was für einen Sinn hat es, Schüsseln selbst zu töpfern? Dafür gibt es doch IKEA .«
Charlotte schnaubte. »Wer bei IKEA Schüsseln kauft, hat sie doch nicht alle! Hast du denn keinen Stil?«
»Das Geschirr dort hat echt die dämlichsten Namen«, kicherte Laurel eine Reihe vor ihnen.
»Weniger reden, mehr kreieren, Mädels«, sagte Mrs Gilliam, ihre Kunsthandwerkslehrerin, die sich mit klimpernden Fußkettchen zwischen den Töpferscheiben durchschlängelte. Mrs Gilliam gehörte zu den Frauen, zu denen einem nur das Wort Kunstlehrerin einfiel. Sie trug weite Pluderhosen, bestickte Westen und selbst gemachte Ketten über Batik-Tunikas, die muffig nach Patschuli rochen. Ihr beschwörender Tonfall erinnerte Emma an eine alte Sozialarbeiterin namens Mrs Thuerk, die immer sprach, als rezitiere sie gerade einen Shakespeare-Monolog. Sage mir, Emma … ist man gut zu dir in jenem Haus, in dem sich die Pflegekinder versammeln zu Wasser und Brot?
»Großartig, Nisha«, gurrte Mrs Gilliam, als sie am Glasiertisch vorbeikam, an dem einige Schüler ihre Keramiken mit Erdfarben bemalten. Nisha Banerjee, die mit Sutton zusammen Mannschaftsführerin des Tennisteams war, drehte sich um und grinste Emma triumphierend an. In ihren Augen blitzte purer Hass, der Emma einen Angstschauer über den Rücken jagte. Offensichtlich hatten Nisha und Sutton ernsthafte Probleme miteinander – Nisha hatte Emma böse Blicke zugeworfen, seit sie Suttons Leben übernommen hatte.
Emma wendete den Blick ab und legte einen grauen Tonklumpen in die Mitte der Scheibe, legte ihre Hände darum und trat langsam auf das Fußpedal, bis ein schüsselartiges Gebilde entstanden war.
Laurel pfiff leise durch die Zähne. »Woher kannst du denn das?«
»Anfängerglück«, sagte Emma achselzuckend, als sei das nichts Besonderes. Aber ihre Hände begannen zu zittern. Eine Schlagzeile kam ihr in den Kopf: Meisterhafte Keramik entlarvt Emma Paxton als Hochstaplerin. Skandal! Emma hatte in Henderson bereits einen Töpferkurs belegt und nach dem Unterricht stundenlang an der Töpferscheibe gesessen. Das war eine willkommene Abwechslung dazu gewesen, nach Hause zu Ursula und Steve zu gehen, den Hippie-Pflegeeltern, bei denen sie damals gelebt hatte. Die beiden hielten Waschen für Wasserverschwendung und das galt für sie, ihre Kleider und ihre acht räudigen Hunde.
Emma drückte den Daumen in ihre Schüssel und seufzte mit gespielter Enttäuschung, als sie in sich zusammenfiel. »Tja, das war’s wohl.«
Sobald Mrs Gilliam im Nebenraum mit dem Brennofen verschwand, sah Emma
Weitere Kostenlose Bücher