Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
Beispiel als Zettelsteckerin oder Schreibkraft annehmen und jeden Abend wie eh und je vor dem Fernseher oder dem Computer verbringen. Oder sie würde gemeinsam mit diesem geheimnisvollen Mann in eine fremde Welt abtauchen, um das Leben unschuldiger Menschen zu schützen. Hier bot sich eine Chance etwas zu erleben. Etwas Bedeutendes zu tun, auch wenn nie jemand davon erfahren würde.
Tremonde wartete auf ihre Antwort und sah sie geduldig an. Joli wurde sich erst jetzt bewusst, dass sie den Atem angehalten hatte. Sie atmete aus und nickte.
„Ich bin bereit.“
„Gut, dann öffne bitte deine Bluse.“
Joli legte das Buch zu ihren Füßen und tat, was er von ihr verlangte. Es war ihr unangenehm, sich vor ihrem Vater zu entblößen, dennoch streifte sie die Bluse ab und ließ sie zu Boden gleiten und stand nur noch in ihrem BH bekleidet vor ihm.
Sie traten in die Mitte des Kellers und stellten sich gegenüber. Tremonde war nicht viel größer als sie, was in erster Linie an seiner krummen Haltung lag, und ihr erst jetzt richtig bewusst wurde. Er nahm ihre Hände und führte sie zu dem Kristall in seiner Brust, verhinderte jedoch, dass ihre Finger den Stein berührten.
„Er ist wunderschön“, sagte Joli, und ihre Hände begannen zu zittern. „Warum müssen wir ihn tragen?“
„Er verstärkt unsere Fähigkeiten und stellt die Verbindung zu Lykandra her, die nicht mehr auf unserer Ebene weilt. Ohne ihn könnten wir ihre Botschaften nicht empfangen, sie würden ungehört verklingen.“
Jolis Unsicherheit wuchs. Immerzu sprach er von diesen Fähigkeiten die sie nicht besaß. Tremonde fuhr ungerührt fort.
„Die Tradition verlangt, dass der Empfänger des Wolfsauges, also du, das Geschenk entgegen nimmt. Das bedeutet, du bist der aktive Part. Lege deine Hände auf den Stein und warte, bis er aus meiner Brust austritt. Dann führe ihn zu deiner eigenen. Es ist wichtig, dass eine Verbindung zu deinem Herzen entsteht, daher führe ihn dorthin, wo du es schlagen spürst. Hast du das verstanden?“
Joli nickte. Ihre Anspannung wurde größer. Konzentriert legte sie beide Hände sanft auf den Kristall, der zuerst leicht, dann immer stärker vibrierte, als hätte sie durch die bloße Berührung einen Schalter umgelegt. Sein Leuchten drang durch die Ritzen zwischen ihren Fingern und blendete sie so stark, dass sie gezwungen war, die Augen zu schließen. Die Kraft des Steins war enorm. Sie fürchtete, sein starkes Vibrieren würde den Körper ihres Vaters zerreißen. Die Schwingungen erfassten ihre Hände, gingen auf ihre Arme über und breiteten sich in ihrem Körper aus. Tremonde stöhnte schmerzerfüllt auf. Er würde das nicht lange durchhalten. Joli machte sich Sorgen um ihn. Sein Körper war aufgrund der Krankheit zu geschwächt. Sie überlegte, ob sieabbrechen sollten, war sich jedoch sicher, dass ihr Vater einen Abbruch nicht gutheißen würde. Komm schon, löse dich, flehte sie innerlich.
Aber der Stein, das spürte sie, wollte es seinem Besitzer nicht allzu leicht machen. Millimeter für Millimeter löste er sich aus dem Brustkorb Tremondes. Das Strahlen wurde intensiver. Obwohl Joli die Augen geschlossen hielt, wurde es hell um sie, als befände sie sich in einem Raum aus reinem Licht. Aus der Ferne vernahm sie melodiöse Stimmen, die sie an einen Kinderchor beim Gottesdienst erinnerten. Diese Art Gesang trieb ihr normalerweise eine wohlige Gänsehaut auf den Rücken, dieses Mal verspürte sie jedoch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, weil sie wusste, dass es in diesem Raum keine Kinder gab.
Joli versuchte, sich auf den Stein zu konzentrieren. Endlich löste er sich. Sie spürte, dass er sich aus der fleischigen Umarmung befreite. Das Leuchten wurde schwächer und sie wagte es, die Augen zu öffnen.
Tremondes Hände legten sich über das münzgroße Loch in seiner Brust, aus dem Blut floss und eine rote Spur über seinen Brustkorb nach unten zog. Benommen sank er auf die Knie, doch hob sogleich eine Hand, um ihr zu signalisieren, dass sie sich nicht um ihn kümmern, sondern das Ritual fortführen sollte. Joli fiel es schwer, dieser Anweisung zu folgen. Sie hatte Mitleid mit ihrem Vater. Dennoch tat sie, was er von ihr verlangte. Sie formte die Hände zu einer Schale, doch der Kristall fiel nicht hinein, sondern schwebte über ihren Handflächen. Vorsichtig geleitete sie ihn zur Mitte ihrer Brust, wo sie ihm einen leichten Linksdrall mitgab, damit er sich an der richtigen Stelle, oberhalb ihres
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