Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
Tür, schlich durch den Flur bis zur Treppe und bemühte sich, die Stufen so leise wie nur irgend möglich hinabzusteigen, um niemanden unnötig zu wecken.
Im Flur vernahm sie Stimmen aus dem Salon. Die Tür war nur angelehnt und ein Lichtstrahl drang durch den Spalt zu ihr hindurch.
„Machen Sie sich keine Vorwürfe, Marquis.“
Sie erkannte die Stimme ihres Vaters. Für einen Moment zwickte Joli das schlechte Gewissen ob ihrer Neugierde, doch sie konnte nicht widerstehen durch den Spalt zu blicken und das Geschehen im Salon zu beobachten. Während sie eine gute Sicht auf Tremonde hatte, der auf der Couch saß, konnte sie das Gesicht des Marquis nicht erkennen, denn er hatte im Sessel Platz genommen, der mit der Rückseite zu ihr stand. Dafür erblickte sie seinen Arm, der auf der Lehne lag. In der Hand hielt er ein Glas mit einer blutroten Flüssigkeit. Sie stutzte einen Moment aber dann verwarf sie den Gedanken, dass es Blut sein könnte. Werwölfe tranken ihres Wissens nach kein Blut. Auf dem runden Tisch entdeckte sie eine Flasche Rotwein.
„Sie fürchtet sich vor mir. Sie hat es zwar verneint, doch ich sah es in ihren Augen.“
„Sie wird lernen, Sie zu mögen, glauben Sie mir.“
Tremonde versuchte zu lächeln. Aber das gedämmte Licht warf Schatten auf seine eingefallenen Züge und verwandelte sein Gesicht in einen Totenschädel. Joli schluckte. Wie lange mochte ihr Vater noch leben? Es war schrecklich ihn so zu sehen.
„Dein Wort in Lykandras Ohr. Es ist lange her, seit ich ...“ De Sagrais hielt inne, nahm einen Schluck und seufzte schwer.
„Herr?“
„Nicht so wichtig.“ Er stellte das leere Weinglas auf den Tisch und ließ den Arm schlaff herunter hängen. Eine Weile schwiegen beide Männer.
„Es ist lange her, seit mir eine Wolfsängerin zur Seite stand“, fuhr er dann fort und legte die Betonung auf das Wort Sängerin. „Mit Frauen ist es anders. Sie sind so verletzlich und empfindsam.“
Joli fand, dass diese altmodische Einstellung interessant war. So lange er nicht glaubte, sie sei plötzlich zu seinem Eigentum geworden, nur weil sie in seine Dienste trat, machte sie sich keine weiteren Sorgen.
„Joselin macht einen guten Eindruck. Wenn sie nach mir kommt, ist sie eine Kämpferin. Und wenn sie nach ihrer Mutter kommt sowieso. Erinnern Sie sich? Obwohl sie zuerst nicht wusste wie sie mit der Wahrheit über Sie umgehen sollte, hat sich ihre Unsicherheit mit der Zeit in Entschlossenheit gewandelt und sie betrieb Recherchen, um den Vampiren auf die Spur zu kommen. Joselin ist ihr sehr ähnlich. Sie hat dieselbe quirlige doch warmherzige Art wie Claire. Machen Sie sich keine Sorgen.“
„Das ist leichter gesagt als getan. Du warst immer für mich da, Tremonde. Dir verdanke ich vieles. Ich verspüre eine besondere Verantwortung ihr gegenüber. Sie ist deine Tochter. Ich möchte sie nicht in Gefahr bringen. Doch durch das, was ich bin, scheint es unvermeidlich.“
Joli spürte, wie sich etwas in ihrer Brust zusammenzog. Vielleicht hatte sie doch nicht das Richtige getan. Sie fühlte sich noch nicht sonderlich bereit für ihre Aufgabe oder ausreichend auf die Gefahren vorbereitet, die auf sie zukommen würden.
„Ich weiß. Ich weiß aber auch, dass Sie ein wachsames Auge auf Sie haben werden. Und dass sie bei Ihnen in guten Händen ist, wenn ich nicht mehr bin. Wenn sich jemand Vorwürfe zu machen hat, dann bin ich es, weil ich ein miserabler Vater war.“
Joli war überrascht, diese Worte aus Tremondes Mund zu hören. Bisher hatte er nicht den Eindruck gemacht, er hätte gemerkt wie sehr sie manche Dinge, die er gesagt und getan hatte, verletzt hatten. Ihr wurde warm ums Herz, als sie nun erkannte, dass sie ihm doch wichtig war.
Aber da war noch ein anderes Gefühl. Es kroch wie eine Schlingpflanze langsam ihre Knöchel hinauf, wand sich um ihre Beine, ihre Hüften, an ihrem Busen vorbei und schlang sich um ihren Hals. Ihre Kehle zog sich schmerzhaft zusammen, als hätte ihr jemand einen Strick um den Hals gelegt. Sie hielt sich am Türrahmen fest und versuchte tief durchzuatmen. Die Schlinge um ihren Hals zog sich fester zu. Joli riss den Mund auf und versuchte nach Luft zu schnappen. Vergebens. In Panik stieß sie die Tür auf und stürzte in den Salon.
Sie sank vor dem runden Tisch auf die Knie. Wellen aus reinem Licht schwappten über sie hinweg, rissen sie in einen Strudel, der sie tiefer und tiefer hinab zog wie eine Ertrinkende. Es war unerträglich heiß.
Irgendetwas
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