Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
Herzens, platzierte. Es war unglaublich. Obwohl er noch nicht einmal ihre Haut berührte, konnte sie die Energie spüren, die vom Wolfsauge ausging. Überwältigend. Die letzten Zentimeter schien der Kristall ohne ihr Dazutun auf sie zuzugleiten, als besäße er einen eigenen, offensichtlich sehr starken Willen. Ein Hochgefühl stieg in ihr auf. Ihre Ängste schwanden. Alles fühlte sich stimmig und richtig an. Was hier geschah, war etwas Einzigartiges und Wunderbares.
Kaum hatte seine flache Seite ihre Haut berührt, saugte er sich abrupt an ihr fest und brannte sich tief in ihr Fleisch. Joli erschrak und schrie auf vor Schmerz. Die Wucht, mit der sich das Wolfsauge in ihren Körper trieb, war so gewaltig, dass sie glaubte, von innen heraus zu verbrennen. Das Licht des Steins flammte erneut in seiner vollen Intensität auf. Sie schloss die Augen, doch das schützte sie nicht vor den grellen Strahlen, die sich im Kellergewölbe ausbreiteten und alles zu verschlingen drohten. Inmitten dieses gleißenden Stroms meinte sie, ein Gesicht zu erkennen. Sinnliche Lippen, feurige Augen, eine gerade Nase und flammendes Haar.
Lykandra.
Der Schmerz war unerträglich. Er brannte sich in ihre Brust und schoss wie ein tödliches Gift durch ihren Leib, in ihre Beine, in ihre Arme, selbst in die Fingerspitzen. Sie hörte sich schreien, doch niemand konnte ihr helfen. Die Kinderstimmen wurden lauter. Sie riefen ihr etwas zu, aber Joli verstand nicht, was sie sagten. Sie hatte nicht mehr genügend Kraft sich auf den Füßen zu halten. Ihr wurde schwindelig. Mit einem letzten, verzweifelten Aufschrei stürzte sie. Ihr Kopf schlug auf, dann wurde es dunkel.
Joli befühlte die Decke eines warmen, weichen Betts. Mikrofaser. Ein Gefühl tiefer Geborgenheit überkam sie. Und die Gewissheit, dass alles nur ein böser Traum gewesen war. Sie musste sich den Inhalt dieses Traums unbedingt merken. Mit der Story konnte sie vielleicht berühmt werden. Die Abenteuer der Joli B. Demnächst in ihrem Kino. Sie kuschelte sich seufzend in ihr riesiges Kissen. Es war so schön, zu Hause zu sein, in ihrem eigenen Bett. Bei diesem Gedanken kam ein winziger Zweifel auf, ob sie tatsächlich dort war, wo sie hoffte zu sein. Schlaftrunken öffnete sie die Augen einen Spalt, nur um sicher zu gehen, dass sie sich wirklich in ihren eigenen vier Wänden befand.
Auf dem Stuhl vor ihr saß ein Mann, der ganz gewiss nicht zu ihrer Einrichtung gehörte. Erschreckt wich Joli zur Bettmitte aus. Das war auch nicht ihr Zimmer. Die Erkenntnis, dass alles doch kein Traum gewesen war, traf sie wie ein Schlag. Der Marquis war hier und beobachtete sie.
„Was, wie?“ Sie rieb sich die Schläfen. Himmel, sie hatte die Villa in Dahlem nie verlassen. Ihre Hand wanderte zu ihrer Brust, wo ihre Fingerspitzen die glatte Oberfläche des Kristalls berührten. „Oh, mein Gott!“
Sie zog die Decke über den Kopf, unter der sie schützende Dunkelheit empfing. Wenigstens hatte der Schmerz nachgelassen. Sie fragte sich, wie sie die Existenz des Steins erklären sollte, wenn ihn jemand zu Gesicht bekäme.
„Beruhigen Sie sich. Sie hatten das Bewusstsein verloren. Ich war so frei, Sie in das Gästezimmer zu bringen.“
„Wo ist mein Vater? Wie geht es ihm?“, nuschelte sie unter der Decke.
„Besser. Er muss noch ruhen. Genau wie Sie.“
Joli atmete auf und lugte unter der Bettdecke hervor. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass sie tatsächlich hier war.
„Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet“, sprach de Sagrais. „Was Sie getan haben war keine Selbstverständlichkeit. Sie fürchten sich doch hoffentlich nicht mehr vor mir? Dazu gibt es nämlich keinen Grund.“
Sie schüttelte langsam den Kopf. Eine innere Ruhe breitete sich in ihr aus. De Sagrais hatte sich um sie gekümmert. Seine Anwesenheit und seine Ausstrahlung ließen sie Vertrauen fassen. Sie wusste, dass sie etwas Wichtiges getan hatte und fürchtete sich nicht mehr vor ihm und seiner Wolfsgestalt oder vor Tremonde, der ihr nicht mehr verrückt erschien.
„Gut. Alles andere hätte mich sehr traurig gestimmt.“
Joli spürte, wie sich ihre innere Anspannung allmählich löste. In diesem Moment begriff sie, dass sie nun zu ihnen gehörte.
„Bestehen Sie auf eine besondere Anrede? Muss ich Sie Euer Gnaden nennen, oder wie auch immer man einen Markgrafen betitelt?“
Sein Lächeln war warmherzig „Wie ist es Ihnen am liebsten?“
Joli zuckte die Schultern, zog die Beine an und wünschte, er
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