Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
sehnsüchtiger Ton schwang in seiner Stimme.
Joli war sprachlos. Dann erwachte ihre Neugierde und sie fragte sich wer ihn wohl zuletzt Rem genannt hatte und ob es eine Frau gewesen war. Wenn sie es genauer betrachtete, wollte sie lieber nicht wissen, wie vielen Frauen er den Kopf verdreht hatte.
„Wie gehen wir weiter vor?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
„Wir sehen uns dort um“, sagte er und deutete zum Kirchturm.
„Wozu?“
„Wenn es hier einen Pyr-Zirkel gibt, finden wir ihn dort. Wo eine Kirche ist, findet sich häufig ein Friedhof. Vampire treten meist in Zirkeln und mit Vorliebe an Orten auf, die nach Moder und Tod riechen.“
„Fürchten sie sich denn nicht vor dem Kreuz auf dem Kirchturm oder denen auf den Grabsteinen?“
Rem schüttelte den Kopf. „Um Vampiren mit einem Kreuz zu schaden, muss es mit der Intention sie abzuwehren auf sie gerichtet werden. Deswegen hängen die Kreuze in meinem Haus auch so, dass sie für mich jederzeit griffbereit sind.“
„Verstehe.“ Sie schaute noch mal in die Runde. „Was ist mit unseren Sachen? Wäre es nicht besser erst ein Quartier für die Nacht zu suchen?“
„Richtig. Aber siehst du irgendwo ein Hotel?“ Er lief unbeirrt weiter.
Joli bemühte sich, mit ihm Schritt zu halten. „Das dürfte wohl das geringste Problem sein.“
Sie holte ihn ein und deutete mit dem Zeigefinger auf ein zweistöckiges Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite. ‚Gasthaus zum Weinkrug’ stand auf der Frontseite in roten Lettern über der Eingangstür. Das Haus sah märchenhaft aus, als stammte es aus einem kitschigen Liebesfilm aus den 60er Jahren. Weiße und rote Hängegeranien zierten abwechselnd die dunkel umrahmten Fenster.
„Das ist doch ein Gasthaus, oder?“, fragte sie neckend und überquerte die Straße, ohne zu ihm zurückzublicken.
Sie gingen den schmalen Flur im Obergeschoss des Gasthauses entlang, an dessen Ende das Zimmer Nummer drei auf sie wartete. Die niedrige Decke zwang Rem leicht gebückt zu gehen. Es war einer jener seltenen Augenblicke, in denen Joli für ihre geringe Körpergröße dankbar war. Zu ihrer Überraschung waren die beiden Einzelzimmer an zwei Herrschaften aus Dresden vermietet, die an einer Hundeausstellung im nahegelegenen Pienfall teilnehmen wollten, sodass ihnen nichts anderes übrig blieb, als sich das verbliebene Doppelzimmer zu teilen. Für die Besitzer war dieser Umstand eine große Freude, selten waren sie ausgebucht, wie die Wirtin erzählt hatte. Das Gasthaus konnte einzig deshalb überleben, weil im Erdgeschoss das hauseigene Restaurant sowie eine Bar aufgemacht hatten und jeden Abend Kunden anlockten.
Joli hatte nur das Nötigste in ihre Tasche gepackt. Länger als eine Woche würde ihr Ausflug hoffentlich nicht dauern. Karla hatte freundlicherweise ihre Schicht in der Praxis übernommen und kümmerte sich um die Katzen. Außerdem gehörte Joli nicht zu den Frauen, die ihre halbe Einrichtung mit sich schleppten, wenn sie auf Reisen gingen. Sie konnte gut mit einem Paar Schuhe leben und brauchte kein Makeup, um sich in ihrer Haut wohl zu fühlen. Genau genommen schminkte sie sich seit Jahren nicht mehr. Nachdem sie ihre Pubertäts-Akne besiegt hatte, war der antibakterielle Puder auf Nimmerwiedersehen in der Schublade verschwunden.
Ihr Blick fiel auf Rems altmodischen Koffer, der vermutlich ein Erbstück war. Zumindest roch er etwas streng und sah aus, als hätte er einige Jahrhunderte auf dem Buckel. Sie konnte es nicht erwarten, seine ‚Jagdinstrumente’ endlich zu sehen.
Der Gedanke an diese Geräte war irgendwie schaurig, aber auch aufregend. Zugegeben, noch aufregender war die Vorstellung heute Nacht mit Rem in einem Bett zu schlafen. Sie war sich aber nicht sicher, ob sie dem Schicksal für diesen unerwarteten Zug danken oder es besser verfluchen sollte. Rem jedenfalls hatte kein allzu erfreutes Gesicht gemacht, als die Wirtin ihm gesagt hatte, dass nur noch ein Doppelzimmer zur Verfügung stünde und dieses Gasthaus die einzige Pension in der Gegend sei.
Joli seufzte leise und senkte den Kopf. Ihre übergroße Brille drohte von der Nase zu rutschen, blieb dann aber an der Spitze hängen. Vielleicht wurde es allmählich Zeit, sich eine neue zuzulegen oder noch einmal die Kontaktlinsen auszuprobieren. Andererseits hing Joli an ihrer Brille. Auch wenn sie etwas zu groß geraten war, so war sie seit einigen Jahren ihre treue Begleiterin und loyaler als manche Freundin. Ohne sie würde ihr
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