Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
kann man nicht besichtigen. Es ist kein Museum.“
„Also Privatbesitz? Wer residiert dort?“, fragte Rem interessiert, denn von Adel verstand er sicherlich etwas.
Die Wirtin nahm einen kräftigen Zug und blies den Zigarettenrauch in Jolis Richtung. „Es ist auch kein Privatbesitz. Es ist ein Sanatorium. Mein Mann und ich meiden diesen Ort wie die Pest. So geht es allen im Dorf. Damals, als das Sanatorium eröffnet wurde, gab es viele Proteste. Aber wer hört schon auf ein 30-Einwohner-Dorf? Diese Postkarten stammen noch aus einer Zeit, in der man das Schloss für Touristen zugänglich gemacht hatte. Bitte denkt nicht, wir wären nicht tolerant. Aber warum muss ausgerechnet Moorgrund mit einem eigenen Irrenhaus aufwarten? Das vertreibt die wenigen Besucher, die sich in unseren kleinen bescheidenen Ort verirren oder eine günstige Bleibe suchen. Na ja, ich hoffe zumindest, dass ich euch beiden Hübschen keine Angst gemacht habe.“ Ihr Lachen ging in einen Raucherhusten über. „Die alte Else redet gern viel, wenn der Tag lang ist. Darf ich fragen, was euch eigentlich nach Moorgrund geführt hat?“
Jolis Blick traf auf Rems, sie öffneten gleichzeitig den Mund, doch Joli war eine Zehntelsekunde schneller. „Wir wollten dem Großstadttrubel für eine Weile entfliehen.“
„Das kann man schon verstehen. Und so ein hübsches Pärchen braucht sicher auch mal Zeit für sich.“ Else nickte.
Joli freute sich, dass die Wirtin glaubte, Rem und sie wären ein Paar. Ein hübsches Paar. Es tat ihr gut und sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie vielleicht gar nicht so unattraktiv war, wie sie glaubte.
„Sie haben uns jedenfalls nicht verschreckt“, sagte Joli gut gelaunt und beobachtete Remierre aus dem Augenwinkel. Er lächelte ebenfalls.
„Haben Sie sonst eine Empfehlung, was man hier in der Gegend unternehmen kann?“, fragte er und stellte sich dichter an Joli, als wollte er den Eindruck erwecken, sie seien tatsächlich ein Paar.
„Lasst mich mal nachdenken, Kinder.“ Sie drückte ihre Zigarette in einem gelben Plastikaschenbecher aus, bückte sich und holte einen schwarzweißen, unsauber gefalteten Prospekt aus einem Fach hervor. „Auch wenn mir diese Frage nicht oft gestellt wird, habe ich vor einigen Jahren diese Broschüren drucken lassen.“
„Danke, das ist sehr freundlich.“
Joli wendete die Broschüre, um sich mit Remierre, der sich nun seitlich über sie beugte, die Rückseite anzusehen. Die Karte war handgezeichnet und mit Sicherheit nicht maßstabsgetreu. Aber, und das war viel wichtiger, neben Wanderwegen und dergleichen waren auch die Apotheke, der Arzt, die Dorfkirche und der Friedhof eingezeichnet. Joli tippte mit dem Zeigefinger darauf und drehte dann den Kopf zu Remierre, der ihr entschlossen zunickte. Zufrieden faltete sie die Klappbroschüre zusammen, steckte sie in ihre Hosentasche und wandte sich zum Gehen, als die Wirtin wutschnaubend an ihr vorbei auf eine Frau in weißer Tracht zuschoss, die gerade die Bar betreten und versucht hatte, mit einem Winken auf sich aufmerksam zu machen.
„Was wollen Sie hier?“, rief die Wirtin und fuchtelte wild mit den Armen über ihrem Kopf herum.
Joli war froh, dass sie kein Nudelholz oder einen anderen gefährlichen Gegenstand in der Hand hielt. Andernfalls hätte sie ihn der zierlichen Frau sicherlich auf den Kopf geschlagen. Joli schaute Remierre erstaunt an.
„Nun beruhigen Sie sich doch. Ich möchte lediglich mit Ihnen sprechen“, sagte die Frau.
„Sie haben Hausverbot! Wenn Sie nicht augenblicklich verschwinden, rufe ich die Polizei, Sie vertreiben mir die Kundschaft!“
Mit ihrem massigen Körper und den üppigen Brüsten drängte Else die Frau durch die Tür nach draußen. Joli und Rem folgten der Wirtin ins Freie, die nun gänzlich die Contenance verlor, als sie an den Tischen Gäste entdeckte, die sie nicht bedienen wollte. Fünf an der Zahl, Männer wie Frauen.
„Verschwindet! Ihr macht mir das Geschäft kaputt!“
„Was ist denn nur in unsere Wirtin gefahren?“, wunderte sich Joli über die barsche Reaktion.
„Aber, aber, gute Frau, wir machen heute nur unseren wöchentlichen Ausflug und wollten bei Ihnen eine kleine Verschnaufpause einlegen, weil uns die Füße wehtaten. Geben Sie uns eine halbe Stunde, dann sind wir wieder weg“, redete die zierliche Frau ruhig auf sie ein.
Joli dämmerte, dass diese Menschen die gefürchteten Verrückten aus Schloss Hornbach sein mussten, über die sich die Wirtin bereits
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