Lynne Graham
verkneifen. „Er hat gesehen, dass ich vorbestraft bin, und das war’s. Ermittlungen eingestellt.“
„Willst du bestreiten, dass du die Uhr gestohlen hast?“
„Ja! Aber natürlich glaubst du mir nicht, und ich habe keine Möglichkeit zu beweisen, dass ich sie nicht genommen habe. Offensichtlich hast du einen Dieb in deinem Büro. Vielleicht ist es jemand im schicken Anzug, jemand, für den die Versuchung zu groß war, jemand, der den Kick brauchte. Diebe gibt es in allen Gesellschaftsschichten.“
Sergios spöttischer Blick ruhte auf ihr. Das Verbrechen, für das sie damals verurteilt worden war, erfüllte ihn mit Abscheu. Sie war ganz und gar nicht das erfrischend natürliche und unverdorbene Mädchen, das er in ihr gesehen hatte. Hinter der schönen Oberfläche verbarg sich eine niederträchtige und gierige Person. In ihrer Position als Pflegerin und Gesellschafterin hatte sie das Vertrauen einer alten gebrechlichen Dame systematisch ausgenutzt und ihren Schützling bestohlen.
„Du brauchst mir nicht zu sagen, was offensichtlich ist“, erwiderte Sergio trocken. „In diesem Fall bin ich überzeugt, dass die Schuldige vor mir steht.“
„Du irrst dich.“ Langsam schüttelte Kathy den Kopf. Benommen stellte sie fest, dass sie unter Schock stand. Innerhalb weniger Minuten hatte Sergio ihren mühsam wiedererlangten Glauben an sich selbst zerschmettert und drohte jetzt damit, ihr Leben zu zerstören. Dafür hasste sie ihn und ebenso für seine arrogante Selbstsicherheit. Und sie hasste sich selbst, weil sie gedacht hatte, mit einem Kerl wie ihm etwas anfangen zu können. Wie konnte sie nur so dumm sein? Glaubte sie etwa noch an Märchen? Neben der Wut und der Angst empfand sie auch ein starkes Gefühl der Demütigung.
„Lass es uns kurz machen. Ich will wissen, was du mit der Uhr gemacht hast“, wiederholte Sergio grimmig. „Und verschwende meine Zeit nicht mit Tränen und Wutausbrüchen. Das funktioniert bei mir nicht.“
Kathy schauderte, als sie feststellte, dass sein schönes Gesicht keine Gefühle zeigte. Niemals würde er ihr zuhören, wenn sie ihre Unschuld beteuerte. Er war nicht bereit, Zeit für sie und ihre Erklärungen zu opfern, denn als überführte Diebin hatte sie ihre Strafe schließlich verdient. Zweifel daran würde er niemals zulassen.
„Ich habe sie nicht genommen, also weiß ich auch nicht, wo sie ist“, erklärte sie fest.
Unversöhnlich ruhte sein Blick auf ihr. „Dann werde ich dich der Polizei übergeben.“
Für den Bruchteil einer Sekunde meinte Kathy, erneut in der Zelle zu sitzen, mit den endlosen leeren Stunden vor sich, ohne jede Beschäftigung und ohne jede Privatsphäre. Sie fühlte sich wieder so machtlos, spürte die Angst und die Verzweiflung. Die Narbe auf ihrem Rücken brannte schmerzhaft bei der Erinnerung. Sie brach in Schweiß aus und bekam eine Gänsehaut. Die Aussicht, ein zweites Mal gegen den Verlust ihrer Freiheit und ihrer Würde kämpfen zu müssen, war mehr, als sie ertragen konnte.
„Das möchte ich nicht“, gab sie leise flüsternd zu.
„Ich auch nicht“, räumte Sergio gelangweilt ein. „Wie geschmacklos, zugeben zu müssen, dass ich es mit einer Putzfrau getrieben habe.“
Kathy zuckte zusammen bei dieser Beleidigung, während ihr Verstand die abwertenden Worte als unwichtig abtat. Fieberhaft suchte sie nach einer Lösung, die Sergio davon abhalten würde, die Polizei einzuschalten. Das konnte nur etwas Ungewöhnliches sein. Er liebte die Gefahr und das Risiko, und er liebte Herausforderungen.
„Wenn ich dich heute Abend beim Schach schlage, lässt du mich gehen.“ Kathy platzte mit dem Vorschlag heraus, ehe sie die Nerven verlor.
Der plötzliche Wandel in ihrer Haltung überraschte Sergio. Mit diesem unbekümmert klingenden Satz gestand sie ihre Schuld ein und verhandelte mit ihm über ihre Freiheit. Doch sie lieferte weder eine Erklärung, noch bat sie um Verzeihung. Diese Unverfrorenheit gefiel ihm. „Du forderst mich heraus?“
Trotzig blitzte sie ihn an, doch tief in ihrem Inneren spürte Kathy nur Panik und Unsicherheit. Sie kämpfte buchstäblich mit allen Mitteln darum, dass ihr Leben nicht noch einmal auseinanderbrach. „Warum nicht?“
„Und was springt für mich dabei heraus? Ein gutes Spiel?“, spottete Sergio. „Die Uhr war mindestens vierzig Riesen wert. Du schätzt deinen Unterhaltungswert ziemlich hoch ein.“
Fassungslos hörte Kathy ihm zu. Vierzigtausend Pfund? Es war ihr gar nicht in den Sinn gekommen,
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