Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Tunnel erreichte die Burgmauern. Ein schwerer, eisenbeschlagener Sturmbock wurde zur Tunnelmündung geschleppt; Ska-Krieger füllten dichtgedrängt den Tunnel, bereit, durch das zerschmetterte Haupttor zu stürmen. Da schwang hoch vom Turm an einer langen Kette eine gewaltige Eisenkugel seitwärts herab. Sie krachte an einer Stelle, die etwa dreißig Fuß von der Burgmauer entfernt war, seitlich gegen das hölzerne Bauwerk und schleuderte Tunnel, Sturmbock und Soldaten über den Rand des Sattels in die Tiefe. Ein weiterer Haufen aus zersplittertem Holz und zerfetzten Leibern war alles, was von dem stolzen Bauwerk übrigblieb.
Auf dem Kamm standen die Führer der Ska im Lichte der untergehenden Sonne und schauten auf die Trümmer ihres stolzen Werkes hinab. Die Belagerung hatte einen schweren Rückschlag erlitten. Eine Unterbrechung der Anstrengungen wurde verfügt. Die Skalinge versammelten sich zum Schutz vor dem beständigen Westwind in einer Mulde. Aillas hockte wie die anderen auf dem Boden der Mulde zusammengekauert im verblassenden Licht des Abends, den Rücken zum Wind, und schaute auf die Silhouetten der Ska, die sich dunkel gegen den Abendhimmel abhoben.
In dieser Nacht würden keine neuen Vorstöße gegen Tintzin Fyral in Angriff genommen werden, soviel stand fest. Die Skalinge wurden hinunter ins Lager geführt und bekamen heißen Brei mit Stockfisch.
Dann führten die Gefreiten ihre Brigaden geschlossen zu einer Latrinenrinne, wo sie niederkauerten und Darm und Blase leerten. Alsdann stellten sie sich vor einem Karren an, wo jeder eine grobe Wolldecke ausgehändigt bekam. Als Nachtlager diente ihnen die Erde.
Aillas schlief den Schlaf der Erschöpfung. Zwei Stunden nach Mitternacht wurde er wach. Seine Umgebung verwirrte ihn. Er fuhr mit einem Ruck hoch und spürte ein heftiges Reißen an seinem Hals – die Kette. »Leg dich hin!« knurrte Taussig. »Die Neuen versuchen immer, in der ersten Nacht die Flucht zu ergreifen. Aber ich kenne alle Tricks.«
Aillas ließ sich in seine Decke zurücksinken. Er lag ruhig und lauschte: dem Heulen des kalten Windes, der über die Felsen fegte, dem Stimmengemurmel der Ska-Wachtposten und Feuerhüter, dem Schnarchen und den Schlafgeräuschen der Skalinge. Er dachte an seinen Sohn Dhrun, der vielleicht allein und schutzlos war, vielleicht sogar just in diesem Moment in Gefahr schwebte oder Schmerzen erlitt. Er dachte an das Nimmerfehl, das unter einem Lorbeerstrauch am Hang des Tac Tor lag. Das Pferd würde sich losreißen und herumirren auf der Suche nach Futter. Er dachte an Trewan und den hartherzigen Casmir. Vergeltung! Rache! Er spürte, wie leidenschaftlicher Haß seine Hände feucht werden ließ ... Eine halbe Stunde verstrich, und er fiel wieder in Schlaf.
Kurz vor dem Morgengrauen, jener düstersten Stunde der Nacht, riß ein fernes Rumpeln und dumpfes Krachen wie von einem riesigen umstürzenden Baum Aillas zum zweitenmal aus dem Schlaf. Er lag reglos und lauschte den stakkatoartig hin und her fliegenden Rufen des Kommandos der Ska.
Zum Morgengrauen wurden die Skalinge vom Lärm einer Glocke geweckt. Mürrisch und verschlafen brachten sie ihre Decken zurück zum Karren, suchten die Latrine auf, und wer wollte, wusch sich im eiskalten Wasser eines nahen Bächleins. Das Frühstück war wie das Abendessen: Brei und Stockfisch, dazu Brot und eine Tasse heißen Pfefferminztees, mit Pfeffer und Wein gewürzt, um ihre Lebensgeister zu wecken.
Taussig führte seine Brigade hinauf auf den Kamm, und nun stellte sich heraus, was den Lärm kurz vor Morgengrauen verursacht hatte. Während der Nacht hatten die Verteidiger der Burg heimlich Haken an dem noch vorhandenen Teil des hölzernen Tunnels befestigt. Vermittels einer Winde hatten sie alsdann hoch oben vom Turm aus den Tunnel ein Stück hochgezogen, so daß er umgekippt und dreihundert Fuß tief in die Schlucht gekracht war. Damit waren all die Anstrengungen der Ska zunichte gemacht worden; schlimmer noch, ihr Material war dahin, ihre Maschinen zerstört. Tintzin Fyral hatte keinen Schaden genommen.
Doch war das Interesse der Ska jetzt nicht länger auf den zerstörten Tunnel gerichtet, sondern auf ein Heer,dasdreiMeilenwestlich imTalkampierte.Späher, die von Erkundungsgängen zurückkehrten, meldeten vier Bataillone gut ausgebildeter Truppen: die Faktoralmiliz von Ys und Evander, bestehend aus Pikenträgern, Bogenschützen, berittenen Hellebardisten und Rittern, zweitausend Mann stark. Zwei Meilen weiter
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