Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
ziemt sich weder für eine Königin noch für eine Prinzessin, Rachsucht zu hegen.«
Von Dame Maugelin kam salbungsvoll Bekräftigung: »So ist es in der Tat. Dasselbe meint auch Dame Maugelin!«
»Die Bestrafung ist jetzt vollbracht«, erklärte Dame Boudetta, noch immer mit derselben beherrschten Stimme. »Gewiß haben alle ihre Lehre daraus gezogen. Nun müssen wir sie aus unseren Gedanken verbannen. Ihr seid die edle Prinzessin Suldrun, und die ehrenwerte Dame Maugelin wird Euch in den Anstandsformen unterweisen.«
»Ich will sie nicht. Ich will Ehirme.«
»Still nun! Seid gehorsam!«
Suldrun wurde in ihr Gemach gebracht. Dame Maugelin ließ sich in einen Sessel plumpsen und begann an einer Stickerei zu arbeiten. Suldrun ging zum Fenster und starrte hinaus auf den Hafen.
Dame Maugelin stapfte schnaufend die steinerne Wendeltreppe zu Dame Boudettas Zimmern hinauf. Ihre fleischigen Hüften wallten und wogten unter ihrem dunkelbraunen Gewand. Auf dem dritten Stock blieb sie stehen, um Atem zu schöpfen, dann ging sie weiter zu einer Bogentür aus aneinandergefügten Holzbalken, die von schwarzen Eisenbügeln zusammengehalten wurden. Die Tür stand angelehnt. Dame Maugelin stieß sie ein wenig weiter auf und schob ihre Leibesfülle durch die Öffnung. Dann blieb sie auf der Schwelle stehen und ließ ihren Blick rasch in alle Winkel des Raumes schweifen.
Dame Boudetta saß an einem Tisch und hielt auf der Spitze ihres dünnen Zeigefingers einer Blaumeise in einem Käfig ein Rübsamenkorn hin. »Pick, Dicco, pick! Sei ein braver Vogel! Ah! So ist's brav!«
Dame Maugelin machte zwei zögernde Schritte vorwärts, und endlich blickte Dame Boudetta auf. »Was ist es nun schon wieder?«
Dame Maugelin schüttelte den Kopf, rang die Hände und fuhr sich mit der Zunge über die gespitzten Lippen. »Das Kind ist wie ein Stein! Ich kann nichts mit ihm machen!«
Dame Boudetta stieß ein kurzes, sprödes Knurren aus. »Ihr müßt streng mit ihr sein! Stellt einen Stundenplan auf! Verlangt nachdrücklich Gehorsam!«
Dame Maugelin breitete die Arme aus und sagte ein einziges, klagendes Wort: »Wie?«
Dame Boudetta ließ ein ungehaltenes Schnalzen ertönen. Sie wandte sich wieder dem Käfig zu. »Dicco? Tschiwitt, tschiwitt, Dicco! Komm, noch einmal picken, und dann ist's gut ... So, brav, nun ist's gut!« Dame Boudetta erhob sich und ging, Dame Maugelin im Schlepptau, die Treppe hinunter und durch den Flur zu Suldruns Gemächern. Sie öffnete die Tür und schaute ins Wohngemach.
»Prinzessin?«
Keine Antwort. Suldrun war nirgends zu sehen.
Die zwei traten in den Raum. »Prinzessin?« wiederholte Dame Boudetta, nun eine Spur lauter. »Versteckt Ihr Euch vor uns? Kommt hervor! Seid nicht unartig!«
Dame Maugelin jammerte in klagendem Alt: »Wo steckt das störrische kleine Ding bloß? Ich habe ihm die strikte Anordnung gegeben, auf seinem Stuhl sitzen zu bleiben!«
Dame Boudetta schaute in die Schlafkammer. »Prinzessin Suldrun! Wo seid Ihr?«
Sie reckte denHals, legte den Kopf schief und lauschte, konnte aber nichts hören. Die Zimmer waren leer. Dame Maugelin murmelte: »Sie ist wieder fortgelaufen zu dem Bauernweib.« Dame Boudetta ging zum Fenster in der Absicht, einen Blick nach Osten zu werfen, aber das schräg abfallende Ziegeldach über der Arkade und die zerbröckelnde Masse von Zoltras Mauer versperrten ihr die Sicht. Unten lag die Orangerie. An der Seite, halb verborgen unter dunkelgrünem Laubwerk, sah sie Suldruns weißes Kleid leuchten. Mit grimmigem Schweigen ging sie aus dem Raum, gefolgt von Dame Maugelin, die leise zischelnd vor sich hinschimpfte und wütende Verwünschungen murmelte.
Sie stiegen die Treppe hinunter und gingen um die Orangerie herum.
Suldrun saß auf einer Bank und spielte mit einem Grasbüschel. Sie registrierte das Herannahen der beiden Frauen ohne eine Gefühlsregung und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Grasbüschel zu.
Dame Boudetta blieb stehen und starrte auf den kleinen blonden Kopf hinunter. Zorn wallte in ihr auf, aber sie war zu klug und zu achtsam, um ihn sich anmerken zu lassen. Hinter ihr stand Dame Maugelin. Ihre Mundwinkel zuckten erregt in der hoffnungsvollen Erwartung, daß Dame Boudetta die Prinzessin endlich rauh anfassen würde: sie schütteln, kneifen, ihr vielleicht einen Klaps auf den festen kleinen Hintern geben.
Prinzessin Suldrun blickte auf und starrte einen Moment lang zu Dame Boudetta hinauf. Dann wandte sie wie gelangweilt oder apathisch
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