Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Stunde vor Mitternacht und kommt eine gewisse Zeit später wieder zurück, nach Monduntergang. Wahrlich, ich fürchte mich um sie, denn dies ist durchaus keine freundliche Küste.«
»Es ist klug von Euch, mir das zu erzählen.« Shimrod gab der Dienstmagd eine Goldkrone. »Die wird euch helfen, wenn Ihr heiratet.«
»Und ob sie das wird! Vielen Dank! Und nehmt es Euch bitte nicht zu Herzen, wenn ich sage, daß Ihr nicht wieder zum Haus kommen dürft.«
»Ich frage mich nur, warum nicht.«
»Die Dame findet offenbar nichts Amüsantes an Euch, und das ist die volle Wahrheit.«
»Höchst merkwürdig!« sagte Shimrod mit verzagter Stimme. »Ich habe Erfolg bei Damen eines jeden Standes gehabt, vom geringsten bis zum höchsten. Einmal wurde gar eine Feenjungfrau meine Geliebte; die Herzogin Lydia von Loermel ließ mir ihre Gunst zuteil werden. Doch hier, an dieser öden und fast vergessenen Küste, weist mich eine Jungfrau ab, die allein in einer Villa lebt. Ist es nicht eine Posse?«
»Sehr merkwürdig in der Tat, Herr!« bestätigte die Magd kopfschüttelnd. »Würdet Ihr an meine Tür klopfen, ich würde Euch nicht abweisen.«
»Aha! Das müssen wir prüfen!« Shimrod ergriff die Magd, gab ihr einen schmatzenden Kuß auf beide Wangen und entließ sie mit einem freundlichen Klaps.
IV
Shimrod bereitete sich sorgfältig auf sein nächtliches Abenteuer vor. Er legte einen schwarzen Umhang an und zog sich die Kapuze tief ins Gesicht. In letzter Minute, fast hätte er's vergessen, rieb er die Sohlen seiner Sandalen mit Wassertrotz ein, auf daß er imstande sei, auf Wasser zu wandeln. Er bezweifelte zwar, daß er dieser überaus praktischen Einrichtung heute nacht bedürfen würde, aber bei anderen Gelegenheiten hatte sie ihm schon gute Dienste geleistet, außer bei schwerer Brandung, wenn sich der Zauber eher als hinderlich erwies.
Das Abendrot wich dunkler Nacht, und der abnehmende Halbmond sank. Schließlich machte Shimrod sich auf den Weg zum Strand. Unweit der Villa stieg er auf eine Stranddüne und machte es sich bequem. Von hier aus konnte er das Haus und den Strand gut überblicken.
Gelbes Lampenlicht leuchtete hinter den Fenstern der Villa. Wenig später erloschen die Lampen nacheinander, und die Villa lag im Dunkel.
Shimrod wartete, während der Mond zum Horizont wanderte. Da tauchte aus der Villa eine Gestalt auf, nur als verschwommener Fleck erkennbar, der sich über den Strand bewegte. An der Größe des Flecks und an dem Rhythmus, in dem er sich bewegte, erkannte Shimrod, daß es Melancthe war. Shimrod folgte ihr in diskretem Abstand.
Melancthe ging zielstrebig, aber ohne Hast; soweit Shimrod erkennen konnte, schien sie sich nicht dafür zu interessieren, ob jemand ihr folgte.
Nachdem sie so eine halbe Meile gegangen war, immer dicht am Saum der Brandung entlang, gelangte sie an ein Riff aus dunklem Felsen, welches, gut hundert Fuß ins Meer hineinragend, eine rauhe kleine Halbinsel formte. Bei schlechtem Wetter würden die Wellen über das Riff hinwegbranden; in der Windstille des schwindenden Mondes umspülten sie lediglich mit schmatzenden und gurgelnden Lauten die unteren Bereiche.
Vor dem Riff angekommen, hielt Melancthe einen Moment lang inne und nahm ihre Umgebung in Augenschein. Shimrod blieb stehen, kauerte nieder und zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht.
Melancthe bemerkte ihn nicht. Sie erklomm den Fels und suchte sich einen Weg zum Ende des Riffs, welches aus einem von den Wellen glatt gewaschenen Felsvorsprung bestand, der mannshoch aus dem Wasser ragte. Auf diesen Felsvorsprung setzte sich Melancthe und blickte aufs Meer.
In tief geduckter Haltung huschte Shimrod vorwärts wie eine große schwarze Ratte und kroch auf das Riff. Vorsichtig, vor jedem Schritt sorgfältig prüfend, ob sein Fuß festen Halt fand, bewegte er sich vorwärts ... Da, ein Laut, dicht hinter ihm: das leise Schlurfen von Schritten!
Shimrod warf sich zur Seite und duckte sich in den Schatten eines Felsvorsprungs.
Die Schritte kamen näher; Shimrod spähte unter der Kapuze hervor und sah eine Gestalt im fahlen Schein des Mondes: ein gedrungener Rumpf, wuchtige Beine, ein entstellter flacher Kopf. Die Luft, die durch die Bewegung der Kreatur aufwallte, stank so abscheulich, daß Shimrod die Luft anhielt.
Das Wesen bewegte sich mit scharrenden Schritten auf das Ende des Felsenriffs zu. Shimrod hörte eine gedämpfte Unterhaltung, dann wurde es still. Er richtete sich ein wenig auf und kroch behutsam
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