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Lyonesse 2 - Die grüne Perle

Titel: Lyonesse 2 - Die grüne Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Nacht bleiben.«
    »Der Regen hat aufgehört«, versetzte Melancthe. »Geht nun, Shimrod; ich will mein Bett mit niemandem teilen.«
    Shimrod erhob sich. »Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Melancthe.«
     

II
    Ein beständiger grauer Regen hielt Shimrod von erneuten Ausflügen zu Melancthes Villa am Strand ab. Zudem hielten ihn taktische Erwägungen einstweilen zurück: allzu großer Eifer würde seinem Vorhaben mehr schaden als nützen. Für den Augenblick war genug getan. Er hatte Melancthe auf die einzigartige Ausstrahlung seiner Persönlichkeit aufmerksam gemacht; er hatte sich als sanft, standhaft, unterhaltsam und rücksichtsvoll präsentiert; er hatte ein beruhigendes Maß an normaler menschlicher Lust gezeigt: mehr wäre als grob und aufdringlich erschienen; weniger hätte Melancthes Liebreiz herabgewürdigt und sie veranlaßt, sich sowohl über sich selbst als auch über ihn zu wundern.
    Shimrod saß im Schankraum des
Tau und Anker
, einer von ihm bevorzugten Hafentaverne, trank Bier, schaute dem Regen zu und grübelte über Melancthe nach.
    Sie war ohne Frage ein faszinierender Fall. Ihre Schönheit war ein unermeßlicher Schatz; ihr Leib schien fast zu zerbrechlich, um ein so beträchtliches Gewicht auch tragen zu können. Shimrod sann: Konnte diese Schönheit allein der Ursprung ihrer Anziehungskraft sein? Wo mochte ihr Zauber sonst noch herrühren?
    Den Blick dem regengepeitschten Meer zugewandt, zählte Shimrod im Geist jene liebliche Eigenschaften auf, die allen liebenswerten und geliebten Frauen gemeinsam waren. Melancthe gebrach es an allen diesen Eigenschaften, einschließlich jener geheimnisvollen und unbeschreiblichen Essenz der Weiblichkeit selbst.
    Melancthe hatte behauptet, ihr Geist sei leer; Shimrod blieb nichts anderes übrig, als ihr zu glauben. Auffällig abwesend waren bei ihr Neugier, Humor, Wärme und Mitgefühl. Die Offenheit, die sie an den Tag legte, war keine Ehrlichkeit im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr Gleichgültigkeit gegenüber den Empfindungen derer, die sie hörten. Er konnte sich nicht erinnern, irgendwelche Gefühlsregungen bei ihr wahrgenommen zu haben außer Langeweile und jener milden Abneigung, die sie für ihn zu empfinden schien.
    Shimrod trank trübsinnig sein Bier aus und blickte den Strand hinauf, aber die weiße Villa war hinter grauen Regenschleiern verborgen ... Ein neuer Gedanke kam ihm, ein Gedanke, dessen Abgründigkeit ihn leise schaudern machte. Melancthe verkörperte den letzten Akt der Hexe Desmëi und ihre endgültige Rache am Mann. Melancthe in ihrem gegenwärtigen Zustand war eine leere Hülle, die jeder Mann mit seiner idealen Vorstellung von vollendeter Schönheit ausfüllen konnte; sobald er aber versuchte, diese Schönheit in Besitz zu nehmen, würde er nichts als Leere entdecken und so leiden, wie Desmëi gelitten hatte!
    Vorausgesetzt, diese Mutmaßungen sind korrekt, so sann Shimrod, wie würde Melancthe, erführe sie davon, reagieren? Wüßte sie um ihren Zustand, wie groß wäre ihr Verlangen, ihn zu verändern? Konnte sie ihn überhaupt verändern, angenommen, sie wollte es?
    Aillas kam in die Taverne. Nachdem er sich am Feuer getrocknet hatte, speisten er und Shimrod gemeinsam in einer Nische am Rande des Schankraums zu Abend. Shimrod erkundigte sich, wie es um den Aufbau der neuen ulfischen Armee bestellt war, und Aillas erklärte, er sei, was dies betreffe, recht zuversichtlich.
    »Alles in allem betrachtet, muß ich sogar sagen, daß sich die Dinge besser entwickeln, als ich erwartet hatte«, fuhr er fort. »Jeder Tag bringt einen neuen Andrang von Rekruten, und ihre Zahl wächst beständig. Heute waren es fünfundfünfzig: kräftige junge Burschen aus den Mooren und aus den Bergen, jeder tapfer wie ein Löwe und jeder darauf vorbereitet, mich in der Kunst der Kriegführung zu unterweisen, welche darin besteht, im Gestrüpp zu lauern, bis eine genügend kleine Gruppe von Feinden zufällig des Weges kommt, sodann über diese herzufallen, ihnen die Kehle durchzuschneiden, ihre Beutel zu plündern und sich dann rasch aus dem Staub zu machen.«
    »Und was ist mit deinen neun widerhaarigen Baronen?«
    »Ich freue mich, berichten zu können, daß sich alle vor der festgesetzten Zeit einfanden. Zwar zeichneten sie sich nicht gerade durch bescheidenes Auftreten aus, aber zumindest habe ich mein Ziel erreicht und war nicht gezwungen, ins Moor hinaufzumarschieren – noch nicht, zumindest.«
    »Sie warten immer noch ab und belauern dich

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