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Lyonesse 2 - Die grüne Perle

Titel: Lyonesse 2 - Die grüne Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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vorwärts. Melancthes Silhouette hob sich dunkel gegen den Sternenhimmel im Westen ab. Neben ihr kauerte die Kreatur, die ihr gefolgt war. Beide starrten auf das Meer hinaus.
    Minuten vergingen. Eine dunkle Gestalt stieg aus der Tiefe des Meeres hervor und brach mit einem Zischen und einem hustenden Geräusch an die Oberfläche. Sie glitt zur Spitze der Felsennase, zog sich aus dem Wasser und kauerte neben Melancthe nieder. Wieder vernahm Shimrod gedämpfte Unterhaltung, jedoch zu leise, als daß er hätte mithören können. Dann verstummten die drei und saßen schweigend da.
    Der Halbmond sank tiefer, verschwand hinter einer langen schmalen Wolkenfahne. Die drei Gestalten rückten dichter zusammen. Das Wesen aus dem Meer ließ einen leisen Altton erklingen. Melancthe gab einen etwas höher klingenden Laut von sich; das Landwesen sang einen tiefen hallenden Ton. Der Akkord, wenn man ihn so bezeichnen wollte, hielt zehn Sekunden lang an, dann änderten die drei Sänger nacheinander die Tonlage, so einen neuen Akkord erzeugend, ehe sie schließlich wieder verstummten.
    Schauer liefen Shimrod über den Rücken. Der Laut war von eigenartiger traurig-düsterer Natur, von einer Art, die Shimrod fremd und unbekannt war.
    Schweigen herrschte an der Spitze der Felsenzunge, während die drei über der Tonfarbe ihrer Musik brüteten. Dann brachte das Landwesen erneut seinen tiefen pulsierenden Laut hervor. Melancthe sang
»Ahhhh – ohhhhh«
, in absteigender Tonhöhe über eine ganze Oktave hinweg. Die Meereskreatur gab einen Altton von sich, der wie das Geläut einer fernen Meeresglocke anmutete. Die Klänge veränderten sich, in der Klangfarbe wie in der Höhe; der Akkord verhallte, bis einmal mehr vollkommene Stille herrschte, und Shimrod, der tief in den Schatten kauerte, kehrte zum Strande zurück, wo er sich weniger anfällig gegenüber der Magie fühlte, die in diesen Klängen verborgen schien.
    Fünfzehn Minuten verstrichen. Der Halbmond wurde gelbgrün und versank im Meer. Im Dunkel der Nacht waren die drei auf der Spitze des Felsenriffs fast unsichtbar ... Wieder sangen sie ihre Akkorde, und Shimrod staunte ob der melancholischen Süße der Klänge und ihrer unaussprechlichen Einsamkeit.
    Dann trat wieder Stille ein. Zehn Minuten verflossen. Das Landwesen trottete über das Felsenriff zum Strand zurück. Shimrod beobachtete, wie es den Hang hinanstieg und in einer Wasserrinne verschwand ... Er wartete. Schließlich kam Melancthe auf dem Felsenriff zurück, sprang in den Sand und ging den Strand hinunter. Als sie an die Stelle kam, wo Shimrod saß, blieb sie stehen und spähte durch die Dunkelheit.
    Shimrod stand auf, und Melancthe setzte ihren Weg fort. Shimrod gesellte sich zu ihr und ging schweigend neben ihr her. Melancthe sagte nichts.
    Schließlich fragte Shimrod: »Für wen singt Ihr?«
    »Für niemanden.«
    »Warum geht Ihr dorthin?«
    »Weil ich es so möchte.«
    »Wer sind jene Kreaturen?«
    »Ausgestoßene wie ich.«
    »Sprecht ihr miteinander? Oder tut ihr andere Dinge miteinander als Singen?«
    Melancthe lachte; es war ein seltsames leises Lachen. »Shimrod, Ihr werdet von Eurem Hirn beherrscht. Ihr seid so kühl wie eine Kuh.«
    Shimrod entschied, daß Schweigen hier vorteilhafter für ihn war als ein hitziges Dementi, und so erreichten sie denn schließlich Melancthes Villa.
    Ohne ein Wort oder einen Blick zurück schritt Melancthe durch die Pforte, überquerte die Terrasse und entschwand.
    Shimrod kehrte nach Ys zurück, unzufrieden und überzeugt, sich falsch verhalten zu haben – in welcher Weise, vermochte er nicht zu sagen. Zudem: Was wäre durch schickliches Betragen gewonnen gewesen?
    Melancthe: quälend, betörend schön!
    Melancthe: über das Meer singend, während der abnehmende Mond am Horizont versank!
    Vielleicht hätte er sie leidenschaftlich an sich reißen und sie mit Gewalt nehmen sollen, als sie am Strand entlanggingen. Zumindest hätte sie ihm dann nicht vorwerfen können, er sei zu intellektuell!
    Gleichwohl enthielt auch dieses Programm, so attraktiv es oberflächlich auch schien, unleugbare Schwachstellen. Auch wenn er den Vorwurf überzogener Intellektualität von sich wies, ließ er sich doch immer noch von den Geboten der Höflichkeit leiten, welche in solchen Fällen eindeutig waren. Shimrod beschloß, sich Melancthe aus dem Kopf zu schlagen: »Sie ist nichts für mich.«
    Am Morgen ging die Sonne zu einem erneuten schönen Tag auf. Shimrod saß grübelnd an einem Tisch vor

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