M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
noch ist nichts verloren. Ein Tabellenplatz im ersten Drittel ist zu schaffen, und wir werden die Mannschaft nicht im Stich lassen. Am Ende wird der Sieg unser sein. Ich freue mich schon darauf. Bis morgen im Weltnetz. Gute Nacht zusammen.« Sie las noch ein paar Nachrichten ihrer Freunde, fand aber nichts, worauf sie hätte antworten wollen. Sie klappte den Laptop zu und starrte die weiße Tapetenwand an.
Den ganzen Tag über hatte Mia Bischof über ihr Leben nachgedacht. Es begann mit Selbstvorwürfen, als sie erfuhr, dass die junge Detektivin noch am Leben war. Später verwandelte sich ihr innerer Aufruhr in Hass auf ihren Ex-Mann und ihren Vater, die sie beide hintergangen und in eine Situation gebracht hatten, über die sie die Kontrolle verloren hatte. Ob die beiden Männer etwas mit Siegfrieds Verschwinden zu tun hatten, war ihr nach wie vor nicht klar. Sie vermutete es, aber da sie ihnen keine direkten Fragen stellen konnte oder wollte, würde sie es nie erfahren. Und das war letztlich egal, dachte sie.
Die Sache mit Siegfried war ein Irrtum gewesen, eine verfluchte Laune, der sie sich niemals hätte hingeben dürfen. Inzwischen verabscheute sie sich dafür. Und wenn Karl den Taxifahrer tatsächlich beseitigt haben sollte, wäre sie ihm irgendwann dankbar. Im Augenblick fühlte sie sich von ihm – wie von ihrem Vater – vor allem ausgenutzt und missachtet, so wie früher, als die Frauen in der Bewegung wie Sklavinnen behandelt wurden, die zu nichts weiter nutze waren als zum Verteilen von Flugblättern, zum Essenkochen und Vögeln.
Ohne ihre unauffällige, aber gradlinige Arbeit bei der Zeitung wären eine Menge Veranstaltungen und Aktionen, an denen mehrheitlich Kameradinnen aus dem Ring Nationaler Frauen, dem Mädelring Bayern oder der Gemeinschaft Deutscher Frauen mitwirkten, niemals an die Öffentlichkeit gelangt. Bunte Partys mit Hüpfburgen, Seilspringen, Kuscheltierverlosungen und lustigen Spielen für Kindergruppen; Seminare für Mütter über gesunde Ernährung und traditionsbewusste Erziehung; Liederabende; Theateraufführungen in Altenheimen; Sportwettbewerbe für deutsche Jugendliche.
Ihr, Mia Bischof, hatten Partei und Bewegung die große Medienpräsenz zu verdanken und auch die Tatsache, dass hinterher nie jemand sich aufspielte oder auf den Gedanken verfiel, das ehrenamtliche Engagement der Frauen diene ausschließlich einem politischen Zweck. Auf ihre Art schlug sie jeden Tag eine Schneise durch die in einem Multikulti-Eintopf schmorende Gesellschaft und ihre Politkaste hin zu einer wahrhaftigen Volksgemeinschaft, deren Zukunft bei den Kleinsten begann.
Daher, dachte Mia Bischof, verspürte sie wohl das tiefe Bedürfnis, all die Dinge, die sie geleistet hatte, Revue passieren zu lassen und die Aufgaben, die vor ihr lagen, zu hinterfragen und exakt zu planen. Sie war nicht so dumm zu glauben, der Detektiv Süden würde so einfach aufgeben, nur weil sie den Auftrag revidierte. Südens Kollege war niedergeschlagen worden, seine Kollegin auf bisher ungeklärte Weise beinahe ertrunken. Was war da passiert?, dachte sie und trank einen Schluck Obstler, den sie in der Minibar ihres Zimmers bunkerte.
Wie konnte das passieren, dass die Frau aus ihrer Ohnmacht aufwachte, bevor sie ertrunken war? Eine Schlamperei ihrerseits, denn sie trug die Verantwortung für die Aktion. Sie hatte den Kameraden Volland beauftragt, die Frau nach München zu fahren, und zwar direkt vor ihre Haustür, und dann zu warten. Falls die Tropfen gut wirkten, sollte er mit Patrizia zurückkommen – als wäre er allein und parke den Wagen wie üblich über Nacht auf dem Firmengelände –, um dann ein zweites Mal nach München zu fahren. Ein einfacher Plan.
Sie schleppte die Detektivin aus dem Taxi zum Gewässer, das ebenso gut versteckt wie erreichbar in der Nähe der Isar lag. Sie ließ die Frau fallen, den Kopf voraus ins Wasser, machte kehrt, und alles war erledigt. Keine Zeugen, keine Hindernisse.
Und am nächsten Morgen tauchten Polizisten im Hotel auf, und ihr Vater tobte vor Zorn. Zu Recht. Sie hatte keine Erklärung. Das durfte nie wieder passieren. Süden würde weiter nach Siegfried und den Tätern suchen und damit in ihrem Leben herumpfuschen. Das würde sie nicht zulassen.
Auch der Mann Süden war verwundbar. Und sterblich. Und nicht allmächtig. Sie hatte ihn ins Spiel geholt, sie würde ihn wieder vom Spielfeld jagen. Die Leute – sogar ihr Vater – hatten sie zeit ihres Lebens immer wieder
Weitere Kostenlose Bücher