M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Rechtsradikalen zusammengeschlagen, und Sie behaupten, der Zeuge habe diese Leute nicht erkannt? Wenn das LKA Sie verarscht, müssen Sie mich nicht genauso behandeln. Ich mache morgen meine Aussage, es handelt sich um schwere Körperverletzung mit Todesfolge. Wir werden auch die Presse informieren, da dies keine private Angelegenheit mehr ist.« Sie hatte nicht vor, mit einem Journalisten zu reden. Sie wollte nur einen Stein ins Wasser werfen, wieder einmal.
»Wir müssen die Dinge in Ruhe besprechen«, sagte Bertold Franck. »Wir bewegen uns auf vermintem Gelände.«
»Was meinen Sie damit?«
»Was halten Sie davon, wenn wir uns heute in Ihrer Detektei treffen? In zwei Stunden?«
»Wozu?«
»Unter vier Augen, ohne Zeugen, mit offenem Visier.«
»Ist Ihres nicht verschweißt?«
Edith Liebergesell stimmte dem Treffen zu. Als sie eine Stunde später das Haus verließ, ärgerte sie sich, dass Süden sich noch nicht gemeldet und gegen alle Absprachen wieder sein Handy ausgeschaltet hatte. Ursprünglich hatte er sich ihr Auto ausleihen wollen, was ihr angesichts seiner kargen Fahrerfahrung nur bedingt recht gewesen wäre. Heute früh jedoch hatte er ihr mitgeteilt, er würde – auf eigene Kosten – ein Taxi nehmen. Eigenartiger Geselle, dachte sie auf dem Weg zur U-Bahn.
Der Taxifahrer setzte ihn auf dem verlassenen Parkplatz vor dem Hotel-Restaurant »Heimgarten« ab. Die Fahrt von München zum Erler Weiher südlich von Grünwald hatte eine halbe Stunde gedauert. Süden saß wie üblich auf der Rückbank hinter dem Beifahrersitz und redete kaum ein Wort, obwohl der Fahrer mehrmals versuchte, ein Gespräch anzufangen. Gern hätte Süden einfach so ein Sonntagspalaver gehalten – über die Ereignisse der Woche, das Wetter, den zähen Winter, die steigenden Mietpreise –, aber er war schon mit seinem eigenen, inneren Stammtisch beschäftigt, an dem dunkle Stimmen übereinander herfielen.
Erschöpft verließ er das Taxi und nahm zuerst den verkehrten Weg zum Wasser. Er ging am Grundstück entlang eine Anhöhe hinauf und folgte dem Kiesweg in den Wald. Von hier aus war das Ufer nur durch Gestrüpp und sumpfiges Gras zu erreichen. Er kehrte um, ging zum Haupteingang des Gasthauses, wandte sich nach links und erreichte über einen schmalen Durchgang die Terrasse. Unmittelbar dahinter lag der zu dieser Jahreszeit grau und schmutzig anmutende Weiher.
In der Sommersonne, erinnerte sich Süden, funkelte das Wasser blaugrün, und die Natur ringsum, der Mischwald, die Schilfwiesen, die Hänge, war in satte Farben getaucht. Ein idyllisches Biotop in einem Landschaftsschutzgebiet. An diesem Sonntag Anfang Februar säumten die Bäume und Sträucher kahl und abweisend das Ufer, farblose Wiesen erstreckten sich bis zum Horizont, Krähen schrien wie auf Friedhöfen. Auf den Tischen lagen abgebrochene Zweige und Laub, die Stühle lehnten zusammengeklappt an der Hausmauer unterm Vordach. Drinnen brannte Licht.
Vor etwa fünfzehn Jahren war Süden zum letzten Mal mit seinem Freund und Kollegen Martin Heuer am Erler Weiher gewesen, auch an einem Sonntag, das wusste er noch. Die Sonne brannte vom Himmel, und sie waren von der ungewöhnlichen Vorstellung getrieben, den Nachmittag auf dem Land zu verbringen. Restzuckungen ihrer Kindheit vielleicht. Jedenfalls hatte Martin am späten Vormittag angerufen und erklärt, er habe beim Aufräumen seiner Kataloge ein Faltblatt vom Heimgarten entdeckt, der sich durch einen lauschigen Biergarten direkt am Wasser auszeichne.
Martin Heuer sammelte Reisekataloge, Landkarten, Stadtpläne, Zeitungsartikel über ferne Länder, Prospekte von Hotels und Gaststätten wie andere Menschen Briefmarken. Es war weniger ein Hobby als ein Tick. Er hatte nicht die Absicht zu verreisen. Er erfreute sich allein an der Vorstellung, morgens in einem Zimmer mit Meerblick zu erwachen oder in der Bretagne abenteuerliche Fahrradtouren zu unternehmen oder mit einem Schiff durchs Kaspische Meer zu schippern. Urlaub verabscheute er. Vermutlich, weil er wusste, er würde sich anderswo auch nicht erholen, sondern vor lauter Sun-Upper – falls Getränke dieses Namens existierten – den hauseigenen Sun-Downer eh nicht mehr genießen können.
Woher immer er den Werbezettel hatte: Am frühen Nachmittag jenes Sonntags vor ewiger Zeit kroch Martins alter brauner Opel, der einmal ein Dienstfahrzeug gewesen war, die steile Hauptstraße hinter Erl hinunter und kam auf dem letzten freien Platz vor dem Heimgarten zum
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