M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Stehen. Sie hatten fast eine Stunde gebraucht. Aus nie geklärten Gründen schaltete Martin nur sehr selten in den vierten Gang. Süden fragte sich oft, wieso sein Freund nicht gleich einen Traktor gekauft hatte, dann wären sie wenigstens in so etwas wie einem Cabrio unterwegs gewesen. Martin störte das kakophonische Hupkonzert der übrigen Verkehrsteilnehmer nicht im Mindesten. Er hockte nach vorn gebeugt hinterm Lenkrad und wirkte ebenso konzentriert wie entspannt.
Auf einen Spaziergang durch Mutter Natur hatten sie verzichtet, weil sie den Anblick der Sonne in einem frischen Bierglas jedem Biotop vorzogen. So verging der Nachmittag mit Schweigen und Wurstsalat und diversen Hellen, bis es dunkel und die Terrasse geschlossen wurde und einer von beiden den Fahrdienst übernehmen musste. Angenommen, die Wahl wäre auf Martin Heuer gefallen, dann wären sie am Ende der Nacht entweder auf dem Nebenparkplatz gelandet, weil er stundenlang ungeniert und von der Richtung überzeugt im Kreis gefahren wäre. Oder sie wären, weil Gott ausnahmsweise ein Auge auf Martin gehabt hätte, tatsächlich wieder in München angelangt, allerdings erst im Winter. So übernahm Süden die Verantwortung.
Kaum hatten sie das Ortsschild von Grünwald hinter sich gelassen, tauchte ein Streifenwagen neben ihnen auf – sowohl Süden als auch Heuer hielten ihn zunächst für eine Erscheinung. Der Wagen überholte sie und zwang sie zum Anhalten. Auf die Frage des jungen Streifenpolizisten, ob er etwas getrunken habe, sagte Süden: »Selbstverständlich nicht.« Woraufhin der Beamte schnupperte und meinte, im Auto rieche es gewaltig nach Bier. Süden zeigte auf seinen Beifahrer und erklärte, dieser habe einen harten Sonntag hinter sich und er chauffiere ihn nach Hause. Als der andere Beamte Südens Ausweis betrachtete, zögerte er einen Moment, dann sagte er: »Würden Sie einem Alkoholtest zustimmen, Herr Kollege?« Süden wollte soeben verneinen, da richtete Martin sich auf, sofern das in seinem Zustand möglich war, und sagte mit bedingt deutlicher Stimme: »Ich stimme zu, kein Problem, Kollege.« Nach einem Zwiegespräch, das die beiden Polizisten abseits des Opels führten, gab der eine Süden seine Papiere zurück und winkte die beiden Kommissare weiter.
Bis sie die Albrechtstraße, wo er wohnte, erreicht hatten, kicherte Heuer vor sich hin, ununterbrochen, als hätte er einen gutturalen Schluckauf. Am nächsten Morgen rief er Süden an und fragte ihn, wo dieser sein Auto hingestellt habe, er renne nun schon zum dritten Mal um den Block.
Einige Jahre später fuhr er mit demselben klapprigen Opel nach Berg am Laim und tauschte sein Lebenszimmer gegen einen Müllcontainer.
Süden wandte sich von dem menschenleeren Parkplatz ab und erschrak. Vor ihm stand eine Frau in einem Dirndl. Offensichtlich war sie lautlos von der Terrasse gekommen. »Ist was passiert?«, sagte sie. »Sie weinen ja.«
»Ich weine nicht«, sagte Süden. »Ich habe nur Staub in den Augen.« Er blinzelte ein paarmal und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
»Es tut mir leid«, sagte die Frau. »Wir haben noch nicht geöffnet, erst in einer Stunde. Kann ich Ihnen helfen?«
»Sie sind die Wirtin.«
»Mein Mann und ich sind die Inhaber des Heimgartens.«
»Mein Name ist Tabor Süden, ich suche jemanden.«
»Bei uns?«
Er zeigte ihr seine Visitenkarte. »Von der Detektei Liebergesell sind Sie«, sagte die Frau. »Den Namen hab ich schon mal in der Zeitung gelesen. Ich bin Anja Biller. Wen genau suchen Sie?«
»Einen Mann. Er heißt Siegfried Denning. Groß, kräftig, blaue Augen.«
»Ein echter Siegfried halt.« Sie lächelte. »Haben Sie kein Foto?«
»Nein.«
»Sie haben kein Foto von der Person, die Sie suchen?«
»Kennen Sie ihn?«
Sie verschränkte die Arme. »Wollen wir nicht reingehen? Mir ist kalt. Ich bin nur schnell raus, weil ich wen rumschleichen gesehen hab.«
Sie gingen zurück zur Terrasse und durch den Garteneingang in die Gaststube. Aus der Küche zog deftiger Bratengeruch herein. Es war warm und hell. Die Tische waren weiß eingedeckt, das Besteck glänzte – jedenfalls kam es Süden so vor –, und auf jedem Tisch stand eine kleine Vase mit roten und gelben Blumen. Hinter der Schänke polierte ein Kellner, der eine Lederhose und ein weißes Hemd trug, die Gläser. Er nickte den beiden beim Hereinkommen zu. »Setzen wir uns an den Stammtisch«, sagte Anja Biller.
»Ich stehe lieber. Hatten Sie in den vergangenen Tagen einen Gast,
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