M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
unterschätzt und sich später über ihre Entschlossenheit, ihre Triumphe gewundert. Auch wenn sie keine Mutterschaft vorweisen konnte, war sie eine Frau mit einem eisernen Herzen, wie Ulrike Meinhof, die sie bewunderte und eine Überzeugungstäterin nannte – wie sie selbst eine war.
Als Mia Bischof eine halbe Stunde später im Bett lag, wäre sie beinahe noch einmal aufgestanden, um auf ihrer Facebook-Seite einen Gruß an ihre Freundinnen zu schicken.
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D as Wenige, was zu regeln war, hatte er auf einem linierten Blatt Papier in Schönschrift erledigt. Formal korrekt, wie es seiner Art entsprach, hatte Leonhard Kreutzer Edith Liebergesell zu seiner Alleinerbin bestimmt, Namen und Nummern seiner Bank und Lebensversicherung hinzugefügt und erklärt, dass seine Asche im Grab seiner Frau auf dem Alten Haidhauser Friedhof beigesetzt werden solle. Sechstausend Euro in bar lägen dem Testament bei. Verfasst hatte er seinen Letzten Willen am dritten Mai vor zwei Jahren. Wie die Detektivin der Ledermappe mit den Privatdokumenten entnahm, die sie im Schlafzimmer von Kreutzers Wohnung gefunden hatte, war der dritte Mai vor mehr als vierzig Jahren der Hochzeitstag von Inge und Leonhard gewesen.
Über das Testament hatte er gegenüber seiner Chefin nie ein Wort verloren. Bestimmt, dachte sie, hätte er es getan, wenn er je auch nur eine Sekunde damit gerechnet hätte, sein Job als »Münchens grauester Schattenschleicher« könnte lebensgefährlich werden.
Edith Liebergesell saß auf ihrer Couch und hörte von fern die Sonntagsglocken läuten. Neben ihr lag die schmale Mappe mit der Handvoll Papiere, die die Existenz eines alten Mannes beglaubigten.
Nach Auskunft einer Angestellten im zuständigen Pfarramt werde die Beisetzung der Urne frühestens in einem Monat stattfinden, eher gehe es aus terminlichen Gründen nicht. Edith Liebergesell hatte mehrmals nachgefragt, ohne an dem Termin etwas ändern zu können.
Sie erinnerte sich nicht, mit Kreutzer nach Inges Tod einmal über die endlichen Dinge gesprochen zu haben. Auch wenn sie in ihrer Arbeit gelegentlich damit konfrontiert wurden – ein Angehöriger war verschwunden und hatte Selbstmord begangen, ein Angehöriger wollte die Umstände eines Verbrechens in der Familie von den Detektiven neu untersuchen lassen –, behandelten sie das Thema Tod wie einen Fall, der am Ende bei den abgeschlossenen Akten landete.
Sogar der Jahrestag von Ingmars Tod gehörte, so schien es, ihr allein und wurde als persönliches Ritual begangen, über das man nicht redete. Und als überraschend Südens Vater gestorben war, wegen dem Süden überhaupt nach München zurückgekehrt war, verweigerte dieser mehr oder weniger jegliche Anteilnahme. Er machte seinen Schmerz mit sich allein aus – und passte sich damit der Gesellschaft seiner neuen Kollegen an, von denen jeder ein Zimmer im Herzen mit sich trug, in das er niemanden einließ, höchstens mit verbundenen Augen. Denn ein unbedingtes Vertrauen existierte zwischen ihnen, sie wollten nur nicht aufdringlich erscheinen und ihr Leben, das sie für allzu gewöhnlich hielten, durch übervolle Worte vergrößern.
Eigenartige Gesellschaft, dachte Edith Liebergesell. Sie wollte sich gerade ihre Sätze für den Anruf bei der Polizei zurechtlegen, als ihr Handy klingelte. Sie stand auf und erwartete Südens Stimme.
»Franck.«
Im ersten Moment wusste sie nicht, wohin mit dem Namen. »Herr Kommissar …«
»Guten Morgen. Die Vernehmung des Zeugen hat nichts ergeben, mein Kollege vom LKA rief mich an und …« Edith Liebergesell hörte ihm zu, während sie zum Fenster ging und es öffnete. Die Luft war kalt. Auf der Straße redeten Passanten, Autos zwängten sich durch die schmale Feilitzschstraße. »Es tut mir leid, dass ich Ihnen nichts Konkreteres mitteilen kann. Wie geht es Ihrem Kollegen im Krankenhaus?«
»Er ist gestorben.«
Der Kommissar blieb stumm. Edith beugte sich aus dem Fenster und beobachtete einen Mann in einem grauen Mantel, der auf seinen Rauhhaardackel einredete. Der Hund wirkte desinteressiert.
»Frau Liebergesell?«
»Bitte?«
»Er starb an den Verletzungen des Überfalls?«, sagte Hauptkommissar Franck.
»Er hat sich nicht umgebracht, wenn Sie das meinen.«
»Ich meine doch …« Er benötigte wieder Zeit. »Wir sollten uns treffen, Sie, Herr Süden und ich.«
»Herr Süden ist unterwegs.«
»Wo ist er?«
»Er arbeitet.«
»Wir müssen uns treffen, Frau Liebergesell.«
»Leonhard Kreutzer wurde von
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