M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
hereinkommen sehen.
»Christoph.« Die Wirtin umarmte ihn, und er schlang die Arme um sie. Als sie ihn losließ, zog er seine schwarze Weste glatt, die er über dem weißen Hemd trug. Er hatte eine Kniebundhose an und dazu sauber geputzte Haferlschuhe. »Das ist mein Sohn«, sagte Anja Biller. »Warst du draußen?«
»Hab geschaut, ob die Fanny wieder da ist.«
»Die Fanny ist unsere Katze, die kommt seit Donnerstag nicht mehr nach Hause. Das ist Herr Süden, Christoph. Er sucht den Mille.«
»Der ist im Wald.« Der Junge zeigte mit ausgestrecktem Arm zur Tür. »Der hat’s eilig gehabt, er hat mich gar nicht bemerkt. Ich hab Hunger, Mama.«
»Schon wieder?«
»Ich bin grad wieder sauber am Wachsen, weißt.« Er betrachtete Süden mit verzurrter Stirn.
»Herr Süden ist Detektiv«, sagte die Wirtin.
»Echt?«, sagte Christoph. »Bist du dann das vierte Fragezeichen?«
32
E r umklammerte den Stamm einer Buche und presste seinen Körper dagegen. Minutenlang verharrte er in dieser Stellung, dann wandte er sich um und sah den Mann, der an einem anderen Baum lehnte und ihn beobachtete. Er erschrak nicht, was vielleicht an der Art lag, wie der langhaarige, schlecht rasierte Mann in der Lederjacke dastand, ohne Anspannung, mit schlenkernden Armen. Die grünen Augen ruhten auf ihm, als würde er ihn lange kennen – und erleichtert sein, dachte Siegfried Denning, der in Wahrheit Michael Grieg hieß. Erleichtert worüber?, dachte er. Beinahe vermittelte der Mann den Eindruck, als habe er ihn, Mille, vermisst. Heiter, dachte er und ging auf ihn zu. Zwei Meter vor ihm blieb er stehen, unweit des Weges, der zwischen Wald und Weiher das Landschaftsschutzgebiet durchquerte.
Auf seinem Weg vom Heimgarten am Ostufer des Weihers entlang hatte Süden die dunkle schwere Gestalt des vermissten Taxifahrers nach wenigen Metern zwischen den Baumstämmen entdeckt. Denning, der ihm den breiten Rücken zuwandte, trug einen dunkelbraunen Mantel und klobige schwarze Halbschuhe. Seine braunen Haare waren kurz und ungekämmt, und als er sich umdrehte, stellte Süden fest, dass Dennings Gesicht übersät war von Bartstoppeln und ihm ein Schnurrbart gewachsen war. Seine Augen spiegelten die Schwermut eines Mannes, der ein Leben geschultert hatte, das ihn fast in die Knie gezwungen hätte. Die Tatsache, dass er einen Baum umarmte – zehn oder fünfzehn Minuten lang, denn er hatte es schon getan, als Süden ihn zum ersten Mal sah –, mutete wie ein letztes, inniges Festhalten an. Wie er sich selbst im Wald festgehalten hatte, dachte Süden, als er sechzehn Jahre alt war.
»Wir tragen die gleichen ausgefransten Jeans«, sagte Denning. Mehrere Minuten hatten sie sich inzwischen schweigend gegenübergestanden. Manchmal, wie unbewusst, berührte Süden mit einer Handfläche die Rinde des Baumstamms. Denning genoss den kalten Wind auf seiner erhitzten Haut.
»Anja Biller hat mir von dem Mädchen erzählt, das Sie aus dem Erler Weiher retten wollten.«
»Wer sind Sie?«
»Tabor Süden.«
»Sie waren auf der Vermisstenstelle im Elfer.«
»Jetzt Detektiv.«
»Ihr Chef war Volker Thon. Sie waren mit Sonja Feyerabend liiert.«
»Haben Sie mich damals beschatten lassen?«
»Haben Sie mich jetzt beschattet?«
»Ich habe Sie zwei Wochen lang gesucht.«
»In wessen Auftrag?«
»Ralph Welthe«, sagte Süden.
Denning blickte zum Weiher. Zeit verstrich, während Süden die Ruhe des Waldes und der Gegend wie ein Geschenk empfand. »Das hätte ich ihm nicht zugetraut«, sagte Denning.
»Sie kennen ihn besser. Ich habe Sie angelogen. Meine Auftraggeberin ist Mia Bischof.«
Denning machte einen Schritt auf Süden zu, der einen Kopf kleiner war und trotz des Gewölbes unter seiner Lederjacke verglichen mit dem Ermittler geradezu schwächlich wirkte. »Was wissen Sie über die Sache?«
»Gewöhnlich haben Sie Beziehungen mit Prostituierten und Callgirls, leben ansonsten einzelgängerisch und gelten als verdeckter Ermittler ihres eigenen Schattens.«
»Wer sagt denn so was?«
»Ihr V-Mann-Führer.«
»Er hat Sie eingeweiht.«
»Freiwillig auf keinen Fall.«
»Was ist geschehen?«
»Mein Kollege wurde in der Nähe des Bergstüberls niedergeschlagen und starb an den Verletzungen. Auf meine Kollegin wurde ein Mordanschlag verübt. Das LKA lügt uns an, die Mordkommission hält sich zurück. Ich war in der Wohnung von Mia Bischof und habe Fotos gemacht. Sie wissen, wie es dort aussieht. Aber Sie haben die Informationen nicht weitergegeben,
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