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M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)

M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)

Titel: M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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danach, zögerte. Ein nach gutem Rasierwasser duftender Mann in einem braunen Wildledermantel kam die Steinstufen herauf, und Süden musste Ediths Hand loslassen. Der Mann grüßte und verschwand im Eingang. »Wo ist Patrizia, Süden? Wieso meldet sie sich nicht? Sag doch was.«
    »Wir schalten die Polizei ein«, sagte Süden. In seinen Ohren klang der Satz unendlich verzagt.

    Selbstverständlich, hatte Lothar Geiger mehrmals erklärt, stehe es ihr frei, bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Er übernehme auch »vollständig die Verantwortung für das unverhältnismäßig harte Vorgehen« seines Angestellten vom Sicherheitsdienst. Aber der Mann habe Verdacht geschöpft, und als er die Tarnung mit der Perücke bemerkte, habe er seinen Verdacht bestätigt gesehen »und dummerweise überreagiert«.
    Die im Hotel stattfindende Tagung, betonte Geiger zum zweiten Mal, erfordere ein hohes Maß an Sicherheit, die er wichtigen Gästen, die hinter verschlossenen Türen ihre Konferenzen abhielten, seit jeher garantiere. Daher sei es an der Zeit, dass sie endlich zugebe, für wen und aus welchem Grund sie sich verkleidet habe, andernfalls würde er erwägen, die Polizei zu informieren.
    Daran glaubte Patrizia Roos nicht. So gelassen und mitfühlend er auch wirkte und sosehr er sich bemühte, sie mit einem Lächeln von ihrem pulsierenden Schmerz in der Wange abzulenken – sie misstraute jeder Geste von ihm, jedem Blick, jedem Wort. Der Raum, in dem sie sich befand, bedrückte sie – die zwei dunklen Gemälde, der schwere Bauernschrank, die Unmengen von in massives Leder gebundenen Büchern, der thronartige Schreibtisch, hinter dem der Mann aufrecht und unbeweglich saß. Das alles verstärkte das Pochen in ihrem Kopf, das von dem Eisbeutel, den Geiger ihr hatte bringen lassen, nicht gelindert wurde. Woher er unten im Flur plötzlich gekommen war, wusste sie nicht mehr.
    Sie wusste nur noch, dass sie am Boden gelegen hatte, perplex von dem brutalen Schlag, und der dürre Mann im Rollkragenpullover ihre schwarze Perücke in der Hand geschwenkt hatte. Sie sah ihre kaputte Brille neben sich liegen, und ein Gedanke flößte ihr panische Angst ein: dass der Mann sie packen, irgendwo hinschleppen und töten würde. Sie hatte alles falsch gemacht und wurde nun dafür bestraft. Einen Augenblick später tauchte ein weiterer Mann auf. Er trug eine Kniebundhose und eine grüne, bis zum Hals zugeknöpfte Trachtenjacke, dazu schwarze Halbschuhe, die Patrizia sofort als bedrohlich empfand. Als käme der Mann auf sie zu, um ihr ins Gesicht zu treten. Einen Schritt vor ihr jedoch war er stehen geblieben. Daraufhin halfen ihr die beiden Männer, die sich offensichtlich kannten, auf die Beine, stützten sie und gingen mit ihr zum Aufzug. Sie fuhren in den zweiten oder dritten Stock, sie hatte nicht aufgepasst. Behutsam – jedenfalls kam es ihr so vor – setzte der ältere Mann sie dann aufs Sofa in seinem Büro, unter ein Gemälde mit einem Pferd, und rief jemanden an. Er nickte ihr zu und sprach kein Wort.
    Vor ihm auf dem Schreibtisch, dessen Ordentlichkeit, wie Patrizia unweigerlich dachte, einen krassen Kontrast zum Verhau auf dem ihrer Chefin bildete, lagen die Perücke und die zerbrochene Brille. Etwa nach fünf Minuten – Patrizia hielt sich mit beiden Händen den Kopf, sah sich vorsichtig um und versuchte, aus dem alten Mann schlau zu werden – klopfte es, und eine Frau mit breiten Hüften, in einem schwarzen Kleid und einer altmodischen weißen Dienstbotenschürze, brachte einen in ein graues Handtuch gewickelten Eisbeutel. An ihren Namen erinnerte sich Patrizia noch, auch wenn der Alte ihn sehr leise ausgesprochen hatte: Frau Burg.
    Nachdem die Angestellte ohne ein weiteres Wort das Büro verlassen und die Tür fast lautlos geschlossen hatte, kam der Mann um den Schreibtisch herum und ging bis zur Mitte des Zimmers. Dann nannte er seinen Namen und erklärte, dass er der Besitzer des Hotels sei. Die Umstände ihres Kennenlernens seien »natürlich die denkbar schlechtesten« gewesen. Nun gehe es darum, die Situation zu klären, und er sei »fraglos bereit«, seinen Beitrag zu leisten. Vor Schmerz kniff sie die Augen zusammen, und als sie sie wieder öffnete, war Lothar Geiger an seinen Schreibtisch zurückgekehrt und setzte sich auf den aristokratisch anmutenden Stuhl mit der hohen Lehne.
    Irgendwann fiel ihr auf, wie still es war. Kein Laut vom Flur, kein Geräusch vor den Fenstern. Auf dem schwarz-rot gemusterten Teppich, der

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