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M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)

M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)

Titel: M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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damit er, wenngleich zur Untätigkeit verdammt, eingeweiht blieb. Anschließend mussten sie einen Weg finden, Mia Bischof so unter Druck zu setzen oder einzulullen, dass sie keine andere Wahl hatte, als ihnen zu vertrauen und Dinge preiszugeben, von denen nicht einmal ihre Gesinnungsgenossen eine Ahnung hatten.
    Süden stand auf, um ins Bett zu gehen. Im selben Moment meldete sein Handy, das er neben sich auf den Boden gelegt hatte, eine SMS. Er hob das Telefon auf, und noch bevor er das erste Wort las, bemerkte er, wie seine Hand wieder zitterte. Die Nachricht kam von Edith Liebergesell. »Vor einer halben Stunde ist Leo gestorben.«

Dritter Teil
    22
    D ie Ärzte gingen von einer »rhythmogenen Ursache« aus. Exitus letalis. Das war im Wesentlichen alles, was die beiden Besucher von der Begegnung mit dem Oberarzt, der ruhig, behutsam und in zugewandter Art mit ihnen gesprochen hatte, in Erinnerung behielten. Sie gaben ihm die Hand und bedankten sich für etwas, das ihnen vollkommen unklar war. Sie verließen das Zimmer und eilten den Flur entlang, als hätten sie ein Ziel. Es war sieben Uhr morgens. In einem Rollbett lag ein alter Mann und starrte zur Decke, sie sahen ihn nicht. Zwei Ärzte diskutierten laut miteinander, sie hörten sie nicht.
    Edith Liebergesell und Tabor Süden gingen die Treppe ins Parterre hinunter, wortlos, verirrte Bewohner einer außerirdischen Gegenwart, und blieben vor den gleichen Türen stehen – sie vor der Damen-, er vor der Herrentoilette.
    Als sie zehn Minuten später wieder herauskamen, wollten sie ihre Blicke voreinander verstecken, aber es gelang ihnen nicht. Sie umarmten sich und fingen noch einmal an zu weinen, diesmal ohne sich zu schämen.
    Eine Zeitlang, nachdem sie die Arme hatten sinken lassen, verharrten sie mit nassen Gesichtern. Die Krankenschwestern und Ärzte, die durch die Eingangshalle kamen, wichen ihnen aus und schienen sie nicht zu beachten.
    Seit sie das Arztzimmer im ersten Stock verlassen hatten, wollte Süden etwas sagen. Doch die Worte fügten sich nicht. Bevor er einen Satz zu Ende denken konnte, stotterte er schon.
    Eine Stunde hatten sie an Leonhard Kreutzers Totenbett verbracht. Edith Liebergesell hatte sich neben das Bett gesetzt und Süden hatte versucht, stehen zu bleiben. Der Anblick des Mannes, der, von allen Schläuchen befreit, bis zum Kinn unter der weißen Bettdecke lag, verursachte jedoch einen solchen Schwindel in ihm, dass er gezwungen war, den zweiten Stuhl zu holen. So saßen sie nebeneinander und betrachteten unentwegt Kreutzers noch immer fast vollständig bandagiertes Gesicht, von dem nur die geschlossenen Augen und der Mund zu sehen waren. Auf dem Tisch brannte die weiße Kerze, die Edith von zu Hause mitgebracht hatte. Nach dem Anruf aus dem Krankenhaus hatte sie in der Starnberger Pension Riemann sofort ein Taxi gerufen, beim Nachtportier die Rechnung bezahlt und sich auf den Weg zum Schwabinger Krankenhaus gemacht, das nicht weit von ihrer Wohnung entfernt lag. Die Flamme brannte ruhig und aufrecht und gab dem Zimmer genügend Licht. Als schließlich eine Schwester hereinkam und flüsterte, der Arzt sei nun zu sprechen, erhob Edith Liebergesell sich schwerfällig und faltete für einen Moment die Hände. Dann beugte sie sich über den Leichnam, küsste ihn auf den Mund und malte mit dem Daumen ein Kreuz auf den Verband über seiner Stirn. Auch Süden malte ein Kreuz und kam sich unbeholfen dabei vor.
    »Gibst du mir Feuer?«
    Süden knipste das Feuerzeug an. Seine Hand zitterte nicht weniger als ihre Hände. Wieder einmal standen sie unter dem Vordach des Krankenhauseingangs, zwei Verbündete gegen die Angst, an einem Tag, der noch dunkel war und keinen Namen hatte.
    »Kannst du bitte etwas sagen?«
    Süden holte Luft. Das tat er schon die ganze Zeit: nach Luft schnappen wie einer, der zu lange unter Wasser war. »Was ich … Leo starb an Herzversagen, habe ich das richtig verstanden?«
    Sie inhalierte tief, sah ihn an und nickte. »Rhythmo … Sein Herz hat den Rhythmus nicht mehr gefunden. So in etwa.«
    »Ja.«
    »Sie haben ihn umgebracht.« Edith Liebergesell blickte zur Straße. So wehte ihr der kalte Wind in die Augen. »Schwere Körperverletzung mit Todesfolge. Wie viele Jahre kriegt man da?«
    »Mindestens drei.«
    »Zu wenig.«
    »Vielleicht auch fünf oder acht Jahre«, sagte Süden.
    Die Detektivin zerdrückte die Zigarette im Gitter des Metallaschenbechers, stieß einen Seufzer aus, hielt Süden ihre Hand hin. Er griff

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