M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
niedergeschlagen hatte? Seinen Namen hatte der Hotelier nicht erwähnt. Oder hatte sie ihn vergessen? Angeblich ein Angestellter eines Sicherheitsdienstes. Das bezweifelte sie. Wieso sollte er eine Konferenz bewachen, die hinter verschlossenen Türen stattfand und von der niemand wusste?
Vielleicht hatte Edith Liebergesell oder Süden inzwischen etwas erfahren und ihr eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Patrizia betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Ihre linke Wange war angeschwollen und verfärbt, sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihre Haut sah krank aus. Ein Wunder, dachte sie, dass ihre Kontaktlinsen durch den Schlag nicht verrutscht waren. Wenn sie ehrlich war – sie wandte sich um, weil sie ihren Anblick nicht ertrug –, musste sie sich eingestehen, dass sie praktisch nichts erfahren hatte. Klar war: Etwas stimmte mit dem Hotel nicht. Sein Besitzer gab sich den Anschein eines ehrenwerten Mannes, der gleichzeitig Schläger beschäftigte, die jeden einschüchterten, den sie nicht kannten. Sie erinnerte sich an den Mann in der Militäruniform auf dem Gemälde, vermutlich ein Nazi, seinem Alter und Habitus nach zu urteilen. Das würde zu den Dingen passen, die sie in der Detektei seit dem Überfall auf Leo Kreutzer mit Mia Bischof in Verbindung brachten.
In der Hoffnung, ihre Chefin wäre von ihrer Starnberg-Mission nicht allzu enttäuscht, zog Patrizia Roos das Handy aus der Jeanstasche und wollte gerade den Einschaltknopf drücken, als die Toilettentür aufging.
»Hallo«, sagte Mia Bischof. »Was machst du denn hier?«
Patrizia war so überrascht, dass sie das Telefon in die Gesäßtasche schob und verlegen lächelte. Ihr war nicht einmal bewusst, dass Mia sie geduzt hatte.
»Ich habe gehört, dass eine junge Frau im Haus ist, die nicht zur Tagung gehört. Ich bin sehr überrascht, dass du es bist.«
»Ich bin auch überrascht, dich zu sehen.« Patrizia versuchte, die Fragen, die ihr im Kopf herumwirbelten, einigermaßen zu ordnen. Sie durfte dem Blick der Frau nicht ausweichen, sie durfte keine Schwäche zeigen, sie durfte keine Fehler mehr machen.
»Was ist passiert?«, sagte Mia. »Bist du gestürzt? Deine Backe ist ganz dick und rot.«
Ratlos starrte Patrizia sie an. Mias blonde, ordentlich geflochtenen Zöpfe hingen ihr über die Schultern, sie trug einen schwarzen Pullover und die gleichen schwarzen Jeans wie Patrizia, dazu graue Filzpantoffeln, die nicht zu ihrer Erscheinung passten. Mia machte einen erschöpften Eindruck und roch ein wenig nach Schnaps.
»Komm mit, wir trinken einen guten Obstler, und du erzählst mir alles.«
»Ich muss los«, sagte Patrizia schnell.
»Nichts da.« Mia ging zur Tür und öffnete sie. »Ich ruf dir gleich ein Taxi, das bringt dich nach München zurück. Wir kennen ein Unternehmen, das unsere Gäste chauffiert. Bester Service.«
»So gut wie der von Siegfried Denning?« Woher der Satz kam, konnte Patrizia sich nicht erklären, er sprang ihr aus dem Mund, und sie bemerkte sofort die Veränderung auf Mias Gesicht.
Die Journalistin drehte den Kopf weg, hielt ihn eine Weile schief und sagte dann mit einer Stimme, die so kontrolliert klang wie die ihres Vaters: »Nein, nicht so gut. Aber gut genug. Komm, ich möchte mit dir reden.«
Patrizia zögerte. Sie wollte raus aus dem Hotel, an die Luft, an den See, ihre Gedanken auf die Reihe bringen, endlich telefonieren, ein Lebenszeichen von sich geben, zur Professionalität zurückkehren. Und plötzlich tauchte die Frau auf, wegen der sie hier war und deren familiäres Umfeld sie erkunden sollte. Die Frau, die möglicherweise wusste, wer Leo so zugerichtet hatte. Die Frau, die behauptete, einen verdeckten Ermittler zu lieben, von dessen wahrer Identität sie nichts ahnte. Oder doch? Es war Freitagnacht und Patrizia hätte eigentlich Bardienst gehabt. Bei dieser Arbeit wusste sie wenigstens in jeder Minute, was zu tun war. Andererseits wurde sie genauso dafür bezahlt, hier zu sein und ihrem Job als Detektivin gewachsen zu sein.
»Was hast du für einen Schnaps?«, fragte sie.
»Er wird dir schmecken«, sagte Mia.
Geiger bat sie, einen Augenblick auf der Couch Platz zu nehmen. Sie setzte sich, nachdem sie den Plastikeimer mit den drei Handtüchern und dem Eisbeutel hingestellt hatte, mit einer so vorsichtigen Bewegung auf den Rand des Sitzpolsters, als fürchte sie, das kostbare Leder zu zerkratzen. Den Rücken leicht gekrümmt, faltete sie die Hände im Schoß und sah zu ihrem Dienstherrn auf,
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