M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
nicht.« Patrizia versuchte, sich zu konzentrieren. »Und ich will wissen, warum du mir dauernd von dieser Regisseurin erzählst. Was hat das mit mir zu tun? Ich will nach Hause.« Sie wollte aufstehen und sackte in den Sessel zurück. Sie hätte etwas essen sollen, dachte sie, anstatt Wein und Schnaps zu trinken, der auch noch seltsam schmeckte. Oder bildete sie sich das nur ein?
»Du kriegst ein Taxi, das hab dir versprochen. Ich erzähl dir von Leni Riefenstahl nicht wegen dir, sondern wegen mir. Damit du mich begreifst. Damit du kein dummes Zeug denkst.«
»Woher willst du wissen, was ich denke?« Patrizia wusste es nicht einmal selbst genau.
Mia erzählte ihr von Leni Riefenstahl, weil es sie entspannte und sie so besser planen konnte. Allmählich drängte die Zeit doch ein wenig. Ihr Vater würde nicht eher ins Bett gehen, bis er wusste, was geschehen war.
Keine Minute später, wie bei einer göttlichen Eingebung, mitten in einem Satz über das Zusammenspiel von Musik und Schnitt im Film »Triumph des Willens«, begriff sie, warum ihr Vater sie gebeten hatte, »die Laus«, wie er die Detektivin genannt hatte, abzufangen.
Alles war klar, notwendig und gut. Kein Zurück mehr, dachte Mia und sagte: »Ich ruf dir ein Taxi, du musst dich mal ausschlafen, du siehst fertig aus. Ich geh runter zur Rezeption und bring dir noch eine Flasche Wasser für die Fahrt mit. Du bleibst so lange hier, es kann zwanzig Minuten dauern, bis Volland kommt. Richard Volland ist einer unserer zuverlässigsten Taxifahrer, der bringt dich bis vor die Haustür. Du kriegst einen Sonderrabatt, das ist selbstverständlich. Bin gleich wieder zurück.« Sie drehte sich zum Fenster, nahm eine Packung Aspirin und steckte gleichzeitig die kleine Flasche ohne Aufdruck in ihre Jeanstasche.
Die Dinge, dachte sie, waren einfach, wenn man wusste, wer man war. Wie schon oft hatte ihr Vater ihr im entscheidenden Moment die Augen geöffnet.
24
D ie beiden jungen uniformierten Polizisten kannte Lothar Geiger vom Sehen. Ihr Vorgesetzter kam mit seiner Frau gelegentlich am Sonntag zum Kaffeetrinken ins Hotel. Über Politik wurde nie gesprochen, aber Geiger hatte mit dem Mann – er hieß Rolofs – nie negative Erfahrungen gemacht, wenn es darum ging, Probleme am Wegesrand zu beseitigen. Nicht, dass er so weit gehen und den Inspektionsleiter als loyal bezeichnen würde – das tat er allenfalls bei einer Handvoll Personen, zwei von ihnen waren seine Tochter und seine Angestellte Ines Burg. Gleichwohl hatte Rolofs ihm noch kein einziges Mal willkürlich oder weil er sich im Recht glaubte, Steine in den Weg gelegt, was für einen Beamten in seiner Position durchaus Mut erforderte, gerade, wenn die öffentliche Meinung die Wahrheit gepachtet haben wollte.
Geiger würde dem Polizeihauptkommissar nie einen Cognac aufs Haus anbieten, weil er dadurch die Regeln verletzen würde, die unausgesprochen für sie beide galten.
Von heute an, das war Geiger bewusst, begann in ihrer Beziehung eine neue Zeitrechnung. Schwäche zu zeigen wäre fatal. »Sie war hier«, sagte er. »Ich habe mit ihr gesprochen, weil wir eine Tagung im Haus haben und nur geladene Gäste zugelassen sind. Sie sagte mir, sie arbeite für eine Detektei und habe einen untreuen Ehemann im Hotel vermutet. Ihren Namen habe ich schon wieder vergessen.«
Nach dem Anruf seiner Rezeptionistin hatte Geiger die beiden Beamten in sein Büro im dritten Stock gebeten. Keiner der drei Männer setzte sich. Allein die Tatsache, dass die Polizisten sich widerspruchslos darauf eingelassen hatten, nach oben zu kommen, offenbarte ihre Unsicherheit. Dass Rolofs ihnen entsprechende Anweisungen erteilt hatte, hielt Geiger für unwahrscheinlich. Vielmehr, dachte er, habe Rolofs einfach die richtige Auswahl getroffen.
»Roos«, wiederholte einer der Polizisten. Er hatte sich mit Erbmaier oder Ebner vorgestellt. Geiger hatte nicht hingehört. »Patrizia Roos.«
»Übrigens trug sie anfangs eine Perücke und eine falsche Brille, wegen ihrer Ermittlungen.«
»Sie hat eine Perücke aufgehabt?« Der jüngere der beiden, ein rothaariger Mann Anfang zwanzig mit einem blassen, sommersprossigen Gesicht, betrachtete schon die ganze Zeit die Bücherwände. Sein Name war Hechsner oder Hessler. »Das ist ja schräg. Und woher wissen Sie, dass es eine Perücke war? Hat sie die dann abgenommen?«
Dumm war der nicht, dachte Geiger und sagte: »Wie ich Ihnen sagte: Wir haben eine geschlossene Gesellschaft, und ich habe Frau
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