Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
Für einen kurzen Moment überlegte sie, ob es ihr gelingen würde, Larry zu überwältigen. Dann verwarf sie den Plan aber wieder. Solange er das Messer so dicht an ihrer Kehle hatte, war es zu gefährlich. Sie war sich sicher, Angela würde bald kommen und nach ihnen sehen. Oder aber … Sie hatte einen furchtbaren Gedanken.
„Larry, wo sind wir?“, fragte sie. „In einem Keller von Allerby?“
Er nickte und kicherte dümmlich. „Ist aber ein geheimer Keller, den findet man nur, wenn man weiß, wo der Eingang ist. Nur mein Engel weiß das, und jetzt ich auch.“
„Hast du einen Schlüssel zu der Tür?“
„Nee, sie wird aber bald kommen. Ich hab Hunger, und sie wird Pizza bringen. Mit viel Käse, das mag ich nämlich.“
Mabels Befürchtung bestätigte sich. Sie war überzeugt, dass Angela längst mit Sack und Pack über alle Berge war, und niemand sonst wusste, dass Larry und sie in diesem Keller eingesperrt waren. Angela scherte sich einen Dreck um Larry und hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Man würde sie recht bald vermissen, wer jedoch käme auf den Gedanken, nach einem geheimen Keller zu suchen, wenn die Carter-Joneses von dessen Existenz keine Ahnung hatten? Mit brutaler Macht wurde Mabel die Tragweite der Situation bewusst. Verdursten war ein langer und qualvoller Tod. Da war es besser, schnell die Kehle durchgeschnitten zu bekommen. Aber noch hatte sie mit ihrem Leben nicht abgeschlossen. Sie war eine Kämpferin, die nie etwas geschenkt bekommen hatte, und jetzt war sie bereit, um ihr Leben zu kämpfen. Das kleine Fenster in der Wand war ihr einziger Hoffnungsschimmer. Sie musste Larry nur so lange hinhalten, bis es Tag wurde und draußen vielleicht jemand vorbeigehen würde, der ihr Rufen hören würde. Mabel wusste, dass ihr die schwerste Nacht ihres Lebens bevorstand.
17. Kapitel
Unruhig lief Victor auf dem Parkplatz der Cornish Market World auf und ab. Obwohl er vor über zwanzig Jahren mit dem Rauchen aufgehört hatte, hätte er jetzt viel für einen Glimmstängel gegeben, wobei es natürlich nur Einbildung war zu glauben, Zigaretten hätten eine beruhigende Wirkung. Victors Nerven vibrierten. Immer wieder sah er auf die Uhr, doch die Zeiger schienen sich nicht vorwärtszubewegen. Vor einer Stunde hatte er Alan angerufen und aus dem Bett geholt, er hatte nicht länger warten können.
„Alan, es ist zwei Uhr, und immer noch kann ich Mabel nicht erreichen“, hatte Victor in den Hörer geschrien. „Auch hat sie sich nicht, wie vereinbart, bei mir gemeldet. Ich fahre jetzt nach Allerby raus.“
„Jetzt? Mitten in der Nacht?“ Mit einem Schlag war Alan hellwach gewesen. „Was willst du da erreichen?“
„Keine Ahnung, aber ich muss etwas tun.“
Es hatte keiner weiteren Worte bedurft. Alan hatte auch so gewusst, in welch großer Sorge Victor um Mabel war. „Überstürze nichts!“, hatte er seinen Patenonkel gemahnt. „Ich komme mit. Wir treffen uns am besten auf halber Strecke zwischen Truro und Lower Barton.“ Alan hatte kurz überlegt, dann hatte er ergänzt: „Am besten bei der Cornish Market World; von dort aus fahren wir dann mit einem Wagen nach Allerby.“
Bereits zwanzig Minuten später war Victor auf dem menschenleeren Parkplatz gewesen, der rund sechzehn Meilen von Lower Barton entfernt war. Dunkel ragten die weitläufigen Hallen des größten Marktes Cornwalls in den Nachthimmel. Er war nur an den Wochenenden geöffnet, aber hier konnte man von Lebensmitteln bis hin zur Kloschüssel alles kaufen, was das Herz begehrte. Victor beschloss, allein nach Allerby zu fahren, wenn Alan in den nächsten fünf Minuten nicht erscheinen würde. Kaum hatte er zu Ende gedacht, bog der dunkle BMW seines Patensohns um die Ecke, und Alan sprang aus dem Wagen. Im Licht der Scheinwerfer musterte Victor ihn. Nun wusste er, warum Alan eine Stunde gebraucht hatte, obwohl der Weg von Truro bis zur Abzweigung nach Par auf der gut ausgebauten A 390 mit zwölf Meilen kürzer als Victors Strecke gewesen war. Wie immer war Alan perfekt gestylt. Obwohl es mitten in der Nacht war, hatte er sein Haar korrekt gescheitelt und sich rasiert. Außerdem trug er einen tadellos sitzenden Anzug, ein helles Hemd und eine farblich darauf abgestimmte Krawatte.
„Mensch, Alan, wir gehen nicht in die Oper!“, blaffte Victor. „Du hättest dich schon etwas beeilen können, schließlich geht es um Leben und Tod.“
„Nun übertreib mal nicht, Onkelchen.“ Alans Blick schweifte
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