Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
zwar lange her, aber ich glaube, ab und zu auszureiten würde mir Spaß machen.“
„Sie könnten stürzen und sich den Hals brechen.“
Schnell senkte Victor den Kopf, aber Mabel hatte die Sorge in seinem Blick bemerkt. Sie drückte seinen Arm.
„Keine Angst, Victor, im Moment fehlt mir zum Reiten ohnehin die Zeit. Mir ist viel wichtiger zu erfahren, was für ein Geheimnis Allerby House birgt.“
„Dann bin ich ja beruhigt“, murmelte Victor, und Mabel schmunzelte still in sich hinein, weil er sie offenbar lieber in Gesellschaft eines Mörders als auf dem Rücken eines Pferdes sah.
Mit einem missbilligenden Zug um die schmalen Lippen nahm Jane Carter-Jones Victors Diagnose zur Kenntnis. „Du meine Güte, wozu haben wir einen Stallburschen, wenn der nicht in der Lage ist, sich um die Tiere zu kümmern? Sein Sohn, dieser Billy, soll von mir aus die Pferde bewegen. Vor lauter Arbeit komme ich nämlich nur selten dazu.“
„Lady Michelle ist viel geritten, nicht wahr?“, fragte Mabel.
„Sie war andauernd draußen“, antwortete Lady Jane, und eine steile Falte bildete sich über ihrer Nasenwurzel. „Bei Wind und Wetter. Sie meinte, sie brauche regelmäßig Bewegung an der frischen Luft. Und das, obwohl sie genau wusste, dass Douglas niemals wieder wird reiten können. Das war nicht gerade rücksichtsvoll von ihr. Vielleicht tat sie es auch, um meinen Bruder bewusst zu verletzen. Zuzutrauen wäre es ihr schon gewesen. Weiß der Himmel, wo und mit wem sie sich herumtrieb!“
Mabel ließ die letzte Bemerkung unkommentiert. Zum ersten Mal hatte Lady Jane angedeutet, dass sie eine eventuelle Affäre zwischen Michelle und einem anderen Mann nicht ausschloss.
Mabel und Victor verabschiedeten sich förmlich, da Jane Carter-Jones und Angela bei ihnen standen. Victor meinte noch: „Komme dann in zwei, drei Tagen wieder vorbei.“ Er tippte sich an seine Mütze und ging, ohne Mabel einen weiteren Blick zu schenken, zu seinem Jeep.
Erleichtert schloss Mabel die Tür. Den Freund nicht nur in der Nähe, sondern auch auf ihrer Seite zu wissen, beruhigte sie ungemein, denn immer mehr gelangte sie zu der Überzeugung, dass Jane Carter-Jones bei Michelles Tod eine Rolle gespielt hatte. Sie musste nur noch einen Beweis und den anderen Mann in Michelles Leben finden. Die Tatsache allein, dass Lady Jane ihre Schwägerin regelrecht gehasst und ihr nicht getraut hatte, reichte nicht aus, um Chefinspektor Warden zu informieren. Mabel widerstrebte es zwar, ihn um Hilfe zu bitten, sie wusste aber, dass es früher oder später unumgänglich war. Wenn ihr Verdacht stimmte und Jane Carter-Jones eine kaltblütige Mörderin war, würde sie auch vor einem zweiten Mord nicht zurückschrecken. Auf keinen Fall wollte Mabel sich selbst wieder in Gefahr bringen, denn immer würde sie sich auf ihr Glück, im letzten Moment gerettet zu werden, nicht verlassen können.
9. Kapitel
Am Samstag war Captain Douglas’ Geburtstag. Mit Wehmut dachte Mabel daran, welch rauschendes Fest ihn heute erwartet hätte. Jetzt wollte er den Tag am liebsten ignorieren und reagierte recht unwirsch, als Mabel ihm am Morgen gratulierte.
„Davon will ich nichts hören. Woher wissen Sie eigentlich, dass ich heute Geburtstag habe?“
Mabel überlegte sich blitzschnell eine Antwort, denn sie musste achtgeben, um sich nicht zu verraten. „Angela erwähnte es nebenbei“, sagte sie und hoffte, Lord Douglas würde seine Wirtschafterin nicht darauf ansprechen.
Der Captain bestand darauf, an diesem Tag allein gelassen zu werden, und da Mabel ohnehin ein freier Nachmittag pro Woche zustand, fuhr sie nach Lower Barton. Zuerst suchte sie ihr Cottage auf und packte eine Tasche mit frischer Wäsche. Es war, als hätte ihre Katze gespürt, dass ihr Frauchen gekommen war. Die Katzenklappe an der Hintertür öffnete sich und ein braun-graues Fellbündel schoss auf Mabel zu, krallte sich in ihren Tweedrock und versuchte, daran hinaufzuklettern. Das Ganze wurde von freudigem und lautem Miauen begleitet, welches in ein wohliges Schnurren überging, als Mabel die Katze auf den Arm nahm. Lucky schmiegte ihren Kopf an Mabels Hals.
„Ich hab dich auch vermisst, meine Kleine“, flüsterte Mabel. „Frauchen ist bald wieder zuhause, aber bis dahin musst du mit den Nachbarn vorliebnehmen.“
Obwohl Mabel wusste, dass Lucky von Violet und ihrer Familie gut versorgt wurde – schließlich machte die Katze einen gut genährten Eindruck, und ihr Fell glänzte wie
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