Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
von Michelle Carter-Jones wäre kein Selbstmord, haben Sie inzwischen wohl revidiert, nicht wahr?“
Mabel schenkte ihm ihr unschuldigstes Lächeln. „Natürlich, Chefinspektor, und ich bin sicher, Sie haben alles zur vollständigen Klärung des Falles unternommen.“
Warden nickte zustimmend. „Darüber brauchen wir glücklicherweise nicht mehr zu sprechen, der Fall ist abgeschlossen und zu den Akten gelegt. Ich habe Sie aber schon länger nicht mehr in Lower Barton gesehen, Miss Clarence. Waren Sie verreist?“
„Ähm … nein, nur ein paar Tage etwas unpässlich“, schwindelte Mabel und winkte ab. „Sie wissen doch … das Alter …“
„Gut, dass Sie einsehen, nicht mehr die Jüngste zu sein“, erwiderte Warden uncharmant. „Das wird Sie künftig wohl davon abhalten, sich um Dinge zu kümmern, die Sie nichts angehen, zumal dann, wenn überhaupt kein Verbrechen vorliegt.“
Mabel sah auf ihre Armbanduhr und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. „Das haben Sie mir bereits unmissverständlich klargemacht, Chefinspektor“, sagte sie. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Ich bin in Eile.“
„Aber sicher, Miss Clarence. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.“
Warden reichte Mabel die Hand, was zuvor noch nie vorgekommen war, verabschiedete sich mit einem freundlichen Gruß und ging beschwingt davon. Er war nicht nur froh, keinen weiteren Mordfall auf dem Tisch zu haben, sondern auch, dass Mabel Clarence sich nun offenbar nicht mehr als zum Leben erweckte Miss Marple fühlte. Zwei Morde und vier Mordanschläge in weniger als zwölf Monaten waren entschieden zu viel! Randolph Warden hatte sich schließlich aus dem hektischen Manchester ins beschauliche Cornwall versetzen lassen, um die letzten fünfzehn Jahre bis zu seiner Pensionierung in Ruhe und Frieden verbringen zu können. Gut, auch in Lower Barton gab es die eine oder andere Gesetzeswidrigkeit – Ladendiebstähle, Einbrüche in Autos oder Schlägereien –, um die Warden sich kümmern musste. Von Kapitalverbrechen hatte der Chefinspektor aber die Nase voll und noch mehr von einer älteren Dame, die an jeder Ecke einen Mörder vermutete und sogar bei einem harmlosen Selbstmord das Schlimmste befürchtete. Warden wusste, in Kürze würden die Proben für das jährlich aufgeführte Theaterstück Verrat in Lower Barton beginnen, und Mabel stand der Laienschauspielgruppe beim Schneidern der Kostüme hilfreich zur Seite. Mit dieser Tätigkeit und der Haushaltsführung für den Tierarzt würde sie hoffentlich zur Genüge ausgelastet sein und Michelle Carter-Jones und deren Suizid bald vergessen haben.
Randolph Warden konnte ja nicht ahnen, wie sehr er sich irrte, was Mabel betraf. Nur in einem Punkt hatte er recht: Eric Cardell, der Leiter der historischen Gesellschaft von Lower Barton und Hauptverantwortlicher für die Theateraufführung, hatte Mabel erst vor wenigen Tagen auf ihrem Handy angerufen und sie gefragt, wann sie mit ihm zusammen die Kostüme des Vorjahres durchsehen könne, um zu entscheiden, welche wieder verwendet werden konnten und ob Neuanfertigungen notwendig waren.
„Es tut mir leid, Eric“, hatte Mabel gesagt. „Ich bin derzeit sehr beschäftigt.“
„Wir brauchen dich aber dringend!“, hatte Eric gerufen. „Du weißt, dass Rachel Lower Barton verlassen hat, und sonst kann niemand so gut mit Nadel und Faden umgehen wie du.“
„Ich werde sehen, was sich machen lässt“, hatte Mabel ausweichend geantwortet.
Die Pflege von Captain Douglas ließ ihr genügend Zeit, um ein paar kleine Näharbeiten zu erledigen, daher entschloss sie sich nach ihren Einkäufen spontan, bei Eric Cardell vorbeizuschauen. Der freundliche Enddreißiger wohnte in der Beacon Lane, einer Straße im Neubaugebiet am Rand von Lower Barton. Sie hatte Glück, ihn anzutreffen.
Eric begrüßte sie überrascht: „Mabel, was für eine Freude, dich zu sehen! Komm bitte herein.“
„Ich war gerade in der Nähe und dachte, wir könnten die Kostüme gleich durchsehen“, kam Mabel sofort zur Sache. „Ich habe allerdings wenig Zeit.“
„Was machst du denn gerade, Mabel?“, fragte Eric und runzelte die Stirn. „Ich habe schon am Telefon bemerkt, dass du im Stress zu sein scheinst. Wenn der Doc dich zu viel arbeiten lässt, dann solltest du dem schnell einen Riegel vorschieben, bevor er dich ausnutzt.“
„Das ist es nicht.“ Mabel winkte ab. Obwohl sie Eric Cardell mochte, wollte sie ihn
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