Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
erzählt, was ich im Internet herausgefunden habe.“
„Im Internet?“ Victors graue Augen weiteten sich. „Mabel, Sie überraschen mich täglich aufs Neue.“
„Ich weiß, Victor. Also, Angela Thorn sowie Lady Michelle haben sich bei Facebook …“ Sie sah Victor fragend an. „Sie wissen doch, was Facebook ist, oder? Also, beide haben dort jeweils eine Seite, und ich habe …“
„Wie kamen Sie denn darauf?“, unterbrach Victor sie perplex.
„Ich habe einfach vermutet, dass zwei so junge Frauen sich irgendwo in einem solchen Internetdings …“
„Einer Plattform oder einem Forum“, half Victor ihr auf die Sprünge.
Mabel fuhr fort: „Also, dass sie sich da angemeldet haben, schließlich tun das heute fast alle. Selbst ältere Leute, Victor.“ Sie zwinkerte ihm zu, wurde dann aber wieder ernst. „Bei Michelle habe ich tatsächlich weitere Fotos von ihrem Ägyptenurlaub gefunden, und auf einem ist der Tote zu erkennen. Zwar nur im Hintergrund und von der Seite, aber ich bin mir sicher, dass es sich um ihn handelt. Es sieht so aus, als habe er an der Bar des Hotels gearbeitet, in dem Michelle logierte. Dort lernten sich die beiden offenbar kennen.“
Victor lehnte sich mit dem Rücken gegen den Ofen. Er war fassungslos. „Das müssen Sie Warden mitteilen! Wenn das stimmt, kann seine Identität leicht festgestellt werden. Gut, gehen wir davon aus, dass Michelle während ihres Urlaubs eine Affäre mit dem Ägypter hatte und er ihr nach England folgte. Wer hat ihn dann aber erstochen? Er starb nach Michelle. Und vor allen Dingen: Warum?“
„Das weiß ich noch nicht.“ Mabel zuckte die Schultern. „Lassen Sie uns jetzt anfangen zu suchen.“
Sie wusste, wie weit hergeholt ihre Überlegungen waren, war sich aber sicher, dass der Tote mit den Frauen von Allerby in Verbindung stand. Noch ergab das alles keinen Sinn, und Mabel weigerte sich zu glauben, dass Jane Carter-Jones erst Michelle und dann deren Liebhaber ermordet hatte, nur um ihren Bruder zu schützen und einen Skandal zu vermeiden – auch wenn das im Moment die logischste Erklärung war.
Die Jagdhütte bestand nur aus dem einen Raum, an den sich ein kleines Badezimmer mit einer Toilette und einem Waschbecken anschloss. Akribisch öffnete Mabel eine Schublade nach der anderen, doch außer Staub und ein paar alten, verrosteten Nägeln waren alle leer. An zwei Kleiderhaken hinter der Tür hingen eine fadenscheinige Wolldecke und ein abgetragenes Regencape. In der Kommode befanden sich ein paar einfache Teller und Tassen, Besteck sowie drei verbeulte Kochtöpfe.
„Ist eigentlich schade, dass niemand die Hütte auf Vordermann bringt“, bemerkte Victor. „Es ließe sich was daraus machen.“
„Ich glaube nicht, dass Captain Douglas hierherkommen würde. Die Erinnerung an die Zeiten, als er noch zur Jagd ritt, kann er nicht ertragen. Victor, was machen Sie da?“, fragte Mabel, als sie sah, wie der Tierarzt mit einem Schürhaken im Ofen herumstocherte. „Wollen Sie etwa heizen? Das ist nicht nötig, wir sind doch gleich wieder weg, außerdem könnte der Rauch vom Herrenhaus aus bemerkt werden.“
„Ach, ich sehe nur überall nach, ganz wie Sie mich gebeten haben.“ Victor stutzte, griff dann in die Asche und zog ein Stück helles Papier heraus, das an den Rändern lediglich leicht verkohlt war. „Das müssen Sie sich ansehen, Mabel!“
Es war der Rest eines Fotos. Durch einen Zufall war es nicht den Flammen zum Opfer gefallen. Mabel konnte ihr Glück kaum fassen, als sie darauf die beiden Menschen erkannte, die in inniger Umarmung bei Sonnenuntergang am Strand standen und sich verliebt ansahen.
„Michelle und der Tote.“ Hörbar atmete Mabel aus. „Meine Vermutung war also richtig. Offenbar hat jemand versucht, das Foto zu verbrennen – wahrscheinlich dieselbe Person, die den Mann erstochen hat. Victor, suchen Sie weiter, vielleicht gibt es noch mehr Reste.“ Leider war die angekohlte Fotografie der einzige Hinweis, doch das reichte Mabel völlig aus, um ihre These zu untermauern. „Jetzt gilt es zu klären, warum Michelle und ihr Liebhaber sterben mussten“, sagte sie nachdenklich und starrte auf die Fotografie in ihrer Hand. „Und wie es ihm oder ihr gelungen ist, Michelles Tod wie einen perfekten Suizid aussehen zu lassen.“
„Captain Douglas?“, warf Victor in den Raum. „Vielleicht wollte Michelle ihn verlassen, und er sah sie lieber tot als in den Armen eines anderen Mannes. Später
Weitere Kostenlose Bücher