Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
gelangen. Allerdings hätte seine Kraft nicht ausgereicht, den jüngeren Mann zu ermorden und dann die Spuren in der Jagdhütte zu beseitigen. Der Weg in den Wald war für Lord Douglas viel zu weit. Oder hatte er einen Helfer? Jemanden, von dem Mabel nichts ahnte?
„Alles, was Sie mir gesagt haben, werden Sie auch der Polizei berichten müssen“, sagte Mabel ruhig, obwohl ihr bei der Vorstellung, möglicherweise einem Mörder gegenüberzusitzen, alles andere als wohl war. „Es spricht vieles gegen Sie, Captain, und man wird Sie verdächtigen, den … Freund Ihrer Frau erstochen zu haben.“
Bedächtig nickte Lord Douglas. Er hatte einen bitteren Zug um den Mund und der Schmerz verzerrte sein Gesicht.
„Dessen bin ich mir bewusst. Es ist aber an der Zeit, die Wahrheit zu gestehen; noch länger hätte ich nicht schweigen können.“ Mit weit geöffneten Augen sah er Mabel an. „Ich habe weder mit dem Tod meiner Frau noch mit dem Mord an ihrem … Liebhaber etwas zu tun. Auch das Feuer habe ich nicht gelegt; ich habe mein Zimmer die ganze Nacht über nicht verlassen. Das müssen Sie mir glauben, Miss Mabel!“
Mabel erwiderte ernst: „Es ist unwesentlich, ob ich Ihnen glaube.“ Dann sah sie zum Fenster und ergänzte: „Es wird hell. Ihre Schwester wird bestimmt bald kommen, um nach Ihnen zu sehen. Sie müssen ihr die Wahrheit sagen und dann die Polizei informieren. Ich lasse Sie jetzt allein, ich muss nachdenken.“
Mabel ging nicht gleich in ihr Zimmer, denn sie brauchte dringend frische Luft. Sie verließ das Haus durch den ehemaligen Lieferanteneingang, da sie hoffte, dort niemandem zu begegnen. Sie wollte allein sein, um in Ruhe nachdenken zu können. Zu viel war in der letzten Stunde geschehen. Sie war aber erst wenige Schritte gegangen, als Angela auf sie zulief. Mabel seufzte. Sie hätte sich denken können, dass ihr Fehlen nicht unbemerkt bleiben würde.
„Miss Mabel!“ Angelas Wangen waren vor Aufregung gerötet. „Ich habe Sie schon gesucht, Sie waren nicht in Ihrem Zimmer. Haben Sie denn nicht mitbekommen, dass es ein Feuer gegeben hat?“
„Ich erwachte davon, sah sofort nach Captain Douglas und war bis eben in seinem Zimmer. Was ist eigentlich passiert? Ist der Brand gelöscht?“ Mabel sah zum Wald, über dem noch dunkler Rauch hing. Der Geruch nach verbranntem Holz drang bis zu ihnen.
„Es ist nur die alte Jagdhütte, über die wir vor ein paar Tagen sprachen“, erklärte Angela. „Ich vermute, ein Landstreicher hat sich dort einquartiert und die Hütte versehentlich angezündet. Das Schloss war alt, da hätte jeder leicht einbrechen können.“
Wem sagst du das, dachte Mabel und sagte laut: „Hoffentlich ist niemand verletzt worden!“
Angela schüttelte den Kopf. „Wer immer den Brand verursacht hat – er hat sich aus dem Staub gemacht, bevor es brenzlig für ihn wurde.“ Sie lachte und wirkte in Anbetracht der Ereignisse dieses Morgens ungewöhnlich gelassen. „Lady Jane wollte die Hütte ohnehin einreißen lassen. Nun, das hat sich jetzt erledigt – es sind nur noch ein paar schwarze Balken übrig.“
„Haben Sie die Polizei informiert?“, fragte Mabel.
„Die Polizei?“ Angela runzelte die Stirn. „Dazu besteht kein Grund. Sobald die Untersuchung der Trümmer möglich ist, wird die Feuerwehr den Brandherd ausfindig machen. Ah, jetzt verstehe ich, was Sie meinen.“ Angela nickte nachdenklich. „Sie glauben, es könnte Brandstiftung sein. Das kann ich mir nicht vorstellen. Warum sollte jemand die Hütte vorsätzlich anzünden?“
„Immerhin ist ganz in der Nähe vor wenigen Tagen ein Mord geschehen“, sagte Mabel. „Es ist doch seltsam, was in letzter Zeit alles passiert.“
Angela zwinkerte Mabel verschmitzt zu und flüsterte, obwohl niemand in der Nähe war, der sie belauschen konnte: „Das ist der Fluch von Allerby.“
„Ein Fluch?“ Mabel lachte laut. „Entschuldigen Sie bitte, aber ich glaube nicht an Flüche und solche Sachen und Sie, eine moderne junge Frau, wohl hoffentlich auch nicht. Oder etwa doch, Angela? Bisher hielt ich Sie für eine Person, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen steht.“
„Miss Mabel, urteilen Sie nicht vorschnell“, entgegnete Angela bestimmt, und Mabel, die zuerst gedacht hatte, Angela würde scherzen, merkte, dass die Haushälterin ungewöhnlich ernst geworden war. „Vor etwa zweihundert Jahren kam im Westflügel in einem der Eckzimmer ein junger Mann unter nie geklärten
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