Macabros 009: Blutregen
sich wieder an das
heranpirschen, was ihm auf dem Herzen lag. Vor allen Dingen kam es
ihm darauf an, mehr über »Cork’s House« zu
erfahren.
Die alte Dame, die ebensogut achtzig wie hundertfünfzig Jahre
alt sein konnte, blickte ihn aufmerksam an.
»Sie sind der Erste nach langer Zeit, der sich für das
Haus interessiert.« Ihre dünnen Lippen, die zwischen den
Falten in ihrem Mund kaum wahrzunehmen waren, zitterten ein wenig.
»Der letzte Interessent fragte vor – fast fünfzig
Jahren. Aber da sprach noch mein seliger Vater mit ihm.«
»Vor fünfzig Jahren?« Baring zeigte sich
verwundert. »Aber ich habe gehört, daß vor einigen
Jahren noch ein Angebot gemacht worden ist. Interessenten haben sich
erkundigt…«
Sie kicherte. »Erkundigt, ja. Aber als sie erfuhren, was es
mit dem Haus auf sich hat, haben sie darauf verzichtet.« Sie
zuckte die Achseln. »Niemand wollte es haben. Spottbillig wollte
ich es abgeben.«
»Wissen Sie so genau, was die Leute schließlich davon
abgehalten hat, das Haus zu kaufen?«
»Die Geschichte des Hauses. Wissen Sie, Mister Baring, die
Leute erzählen viel über das Haus, keiner weiß etwas
Genaues. Es heißt, daß man dort in ruhigen Nächten
Stimmengewisper hören könne, daß es dort umgehe,
daß Lichterscheinungen zu sehen und Schreie zu hören
seien. Vielleicht ist nichts daran, vielleicht stimmt auch alles. Ich
kann es nicht sagen, ich habe nie in meinem Leben auch nur eine
einzige Minute in dem Haus verbracht. Auch die vorherigen Besitzer
nicht. Das Haus hat einige Male den Besitzer gewechselt. Das ist
leicht zurückzuverfolgen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts ist
es sogar eine Zeitlang bewohnt gewesen, nachdem man es restauriert
hatte. Ein knappes Jahrhundert davor soll der Dachstuhl gebrannt
haben. Dabei soll das obere Geschoß fast völlig
zerstört worden sein.«
Eine Katze sprang auf ihren Schoß. Auf dem Tisch vor der
Alten stand eine Tasse Tee. Er war schon kalt, aber Catherine Muxley
schlürfte ihn mit Todesverachtung. Neben der Teekanne stand eine
kleine Büchse mit Milch. Einige Tropfen der weißen
Flüssigkeit klebten an der Decke. Die Katze stemmte beide
Vorderpfoten auf die Tischplatte und leckte mit ihrer rauhen Zunge
die Milch auf.
»Eines verstehe ich nicht«, murmelte Baring. Er zuckte
ein wenig zusammen. Der fette Kater hinter ihm rührte sich,
streckte alle viere von sich und drückte ihm die Pfoten gegen
den Rücken, um sich breitzumachen. »Auf der einen Seite
kommen Leute, die kaufen wollen, obwohl sie die Geschichte des Hauses
kennen. Andererseits aber raten Sie diesen Interessenten
ab.«
»In Wirklichkeit wollten die, die hierherkamen, gar nicht
kaufen. Sie wollen nur wissen, ob mit ’Cork’s House’
wirklich etwas nicht stimmt. Sie hören sich alles an, nicken und
sagen, sie würden sich wieder melden. Nur einmal hatte ich einen
wirklichen Interessenten. Der sah sich das Haus an. Augenzeugen
berichten, er sei kurz nach dem Einbruch der Dunkelheit wie von
Sinnen davongerannt. Als die Polizei ihn wieder einfing, konnte er
nicht mehr sprechen. Er hatte die Sprache verloren.«
»Wann geschah das?«
»Vor gut fünfundzwanzig Jahren. Es gibt viele
Geschichten um das Haus, Mister Baring. Der Ruf des Hauses hat sich
in den letzten Jahrzehnten eher verschlechtert als verbessert, obwohl
man doch glauben sollte, daß die Menschen der Gegenwart
über Horrorgeschichten erhaben seien. Aber nein, genau das
Gegenteil ist der Fall. Der Fluch, der auf ’Cork’s
House’ liegt, überdauert die Zeiten. Wir leben schon in
einer merkwürdigen Welt.«
»Was wissen Sie von dem Haus, Madam?«
»Das, was die anderen auch wissen. Man soll es meiden. Ich
hätte es gern verkauft, das dürfen Sie mir glauben. Der
Preis war so günstig. Aber niemand wollte es haben. Der Fluch
und das Gerücht sind stärker. Etwas lauert dort. Es
verbreitet Angst und Schrecken. Vielleicht sogar Wahnsinn und
Tod.« Sie senkte die Stimme und wisperte geheimnisvoll, den
Zeigefinger hebend, als spräche sie mit einem Kind, das sie
belehren wollte.
»Angst und Schrecken haben eine Ursache. Die kann man
ergründen«, sagte Baring sachlich. »Ich möchte
das Haus kaufen. Was soll es kosten?«
Es kam einfach so über ihn. Er fragte spontan.
Catherine Muxley blickte den Parapsychologen von unten herauf an.
»Wirklich?« fragte sie langgezogen.
»Ich möchte erforschen, was dort vorgeht. Das ist mein
Beruf.«
»Und Sie haben gar keine Angst?«
»Nein. Alles hat eine Erklärung. Man
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