Macabros 024: Marionetten des Schreckens
erschienen«, flüsterte er. »Aber er
hält sich ganz tapfer.«
Pepe saugte an seinem Strohhalm.
Dem Jungen gegenüber saß Rani Mahay, der Koloß
von Bhutan. Auch Rani Mahay war im Smoking. Abendgarderobe wurde
verlangt. Ein dunkler Anzug war das mindeste, das der Kapitän
für diese Reise vorgeschrieben hatte, für die Damen das
Cocktail- oder Abendkleid.
Mahay saß zurückgelehnt in seinem Stuhl und langweilte
sich offensichtlich. Er gähnte.
Björn und Carminia kamen ganz dicht an ihren Tisch. Beide
merkten es erst im letzten Augenblick.
»Der große Rani, der Wildkatzen mit einem einzigen
Blick bändigt, ist müde«, sagte Björn leise.
Mahay schüttelte sich.
»Rundum sitzen die schönsten Frauen, mein Lieber.
Schau’ dir mal die Passagierliste an! Du wirst daraus entnehmen
können, daß hier ein enormer Frauenüberschuß
herrscht. Die beiden Blondinen am Nachbartisch sind schon eine
Sünde wert – aua«, fügte er sofort leise hinzu.
Das galt Carminia. Die glutäugige Schöne aus Rio hatte ihm
kurz und bündig einen schnellen Tritt gegen das Schienbein
versetzt.
»Von Blondinen kann hier keine Rede sein«, preßte
sie hervor. Ihre schwarzen Augen funkelten. Sie war sehr
eifersüchtig.
»Ich hab’ sie Mahay angeboten, Schoko«, beruhigte
Hellmark gleich die heißblütige Brasilianerin. Das
Schicksal hatte diese beiden Menschen zusammengeführt, und vom
ersten Augenblick an war es die große Liebe. Im Gegensatz zu
Carminia wußte Björn inzwischen, daß es zwischen
ihnen in einem früheren Leben eine Begegnung gegeben hatte.
Ihre Liebe hatte die Zeiten überdauert, ohne daß es
eine Erklärung dafür gab. Sie waren füreinander
bestimmt, und es schien, als hätte eine unbekannte Macht ihre
Hand im Spiel, die alles lenkte und ihre Wege zusammengeführt
hatte. Es schien noch Großes bevorzustehen, von dem sie beide
nichts ahnten.
»Soll ich mal eine übernehmen?« fragte Pepe.
»Rani ist heute so müde. Er meint, es sei das beste, wenn
er seine Koje aufsuche.«
»Kajüte, meinst du«, berichtigte Björn.
»Und was das Übernehmen anbelangt, so würde ich sagen,
dafür hat’s noch ein bißchen Zeit. Die Damen sind ein
wenig zu groß für dich. Bleib’ du vorerst mal bei
deiner Limonade!«
Pepe zuckte die Achseln. »Wenn du meinst, Björn. Du hast
ja meistens recht.«
»Außer Limonaden und Blondinen gibt’s aber auch
noch andere schöne Dinge auf der Welt«, knurrte Mahay.
»Ich würde vorschlagen, wir machen uns draußen
über das kalte Büfett her. Wie war’s damit.
Kleiner?«
»Wenn er vom Essen redet, fangen seine Augen an zu
leuchten«, erwiderte Hellmark. »Du solltest ein
bißchen aufpassen. Du wirst langsam fett.«
»Fett?« Mahay schluckte trocken. Keine Spur mehr von
Müdigkeit. Wenn jemand auf seine athletische Figur anspielte,
reagierte er empfindlich. »Ich hab’ Muskeln wie Stahl, da
gibt’s kein Gramm Fett, mein Lieber! Aber solche Fleischmassen
muß man erhalten. Sonst fallen die einem von den Knochen. Komm,
Pepe. Ich zeig’ dir mal ein paar anständige Sachen. Bis wir
zurück sind, werden sie hoffentlich die letzte Runde gedreht
haben. Es geht langsam auf Mitternacht zu. Ein vernünftiger
Mensch bekommt um diese Zeit wieder Hunger.«
Pepe schloß sich Mahay an. Der Zweizentnermann war breit wie
ein Kleiderschrank, und seine prachtvolle Glatze glänzte, als
wäre sie poliert.
Der Inder und Pepe kamen am Nachbartisch vorbei. Mahay deutete
eine kleine Kopfbewegung an. Beide Blondinen lächelten
vielsagend.
»Was für ein Mann«, sagte eine mit dem langen Haar
und den dunklen Augen. Um ihre hübsch geschwungenen Lippen
zuckte es leicht. Eve Gavett war fünfundzwanzig, schlank und
gutaussehend. Sie hatte vor drei Jahren einen reichen Barbesitzer
geheiratet und verbrachte ihre freie Zeit damit, Sightseeing-Tours
mit Freunden und Bekannten aus allen Teilen der Welt zu machen.
Diesmal hatte sie sich Dorothy O’Thail eingeladen, eine
ehemalige Freundin aus den Staaten, die wie sie als Go-Go-Girl
angefangen und sich zur Frau eines bekannten Band-Leaders gemausert
hatte.
Diese Band war derzeit auf Hawaii in einem großen
Vergnügungszentrum verpflichtet und sollte insgesamt sechs
Wochen dort auftreten.
Da Dorothy – ebenfalls blond, etwas kräftiger, mit
meerblauen Augen und einem zarten Teint, vollbusig – das
Repertoire ihres Mannes kannte und keine Lust hatte, sich jede Nacht
in die gleiche Bar zu setzen, war sie der Einladung Eve Gavetts gern
gefolgt.
»Meinst du diese
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