Macabros 024: Marionetten des Schreckens
ließ dabei das Leuchtzifferblatt seiner Uhr
nicht aus den Augen.
»Rund sechzig Meter«, murmelte er. »Da machen wir
uns noch dran. Ihr laßt mich runter, Jungens. Ich seh’
mich da unten mal um.«
Sie bereiteten alles vor. Eine Viertelstunde später ging
Sindom an den Abstieg.
Mit den Beinen stützte er sich an der steil in die Tiefe
fallende Felswand. Auf den Schultern trug er eine Sauerstoff-Flasche,
aber sie war noch nicht angeschlossen. Er hatte sie dabei für
den Notfall.
Gleichmäßig und einwandfrei lief das dicke Seil durch
die metallenen Haken und Ringe. Meter für Meter wurde der Mann
herabgelassen.
Noch zehn Meter, noch fünf, noch drei… Sindom verharrte
und knipste die Taschenlampe an.
Ein sanftes Schimmern stieg aus der Tiefe empor, als wäre der
Boden unter ihm mit Millionen und Abermillionen winziger Glasperlen
ausgestreut.
Oder war es Wasser, das glitzerte?
Ganz langsam ließ er sich weiter herab und konnte das Tempo
bestimmen.
Plötzlich gab es einen Ruck.
Das Seil rutschte aus dem Haken, ein Ring riß ab. Es ging
alles so schnell, daß Sindom nicht mal schreien konnte.
Wie eine Schlange schnellte das Seil zurück, und der Deutsche
stürzte in die Tiefe.
*
Wie eine Katze warf er sich noch im Fall herum.
Es konnte doch nicht mehr tief sein! Er mußte jeden
Augenblick den Boden berühren…
Die Dauer des Sturzes kam ihm länger vor, als es
normalerweise nach seinen Schätzungen hätte sein
dürfen.
»Walter!« brüllte von oben jemand. Jetzt merkten
die Freunde, daß am Seil kein Gewicht mehr hing…
Da traf er auf Untergrund und rollte sich sofort auf die Seite. Er
hatte Glück im Unglück. Wie durch ein Wunder verletzte er
sich nicht und kam vor allem die Sauerstoffflasche nicht zu
Schaden.
»Alles in Ordnung!« brüllte Sindom nach oben.
»Die Knochen sind noch ganz.«
Das Ereignis war ein merkwürdiger Unfall. Überall konnte
schließlich etwas passieren, und so machte er sich keine
weiteren Gedanken darüber.
Was ihn mehr erstaunte, war die Tatsache, daß er
verhältnismäßig weich aufgekommen war.
Er tastete den Boden ab. Wie Moos. Es roch feucht und modrig, und
überall glitzerte es, als wären lauter Glassplitter
verstreut.
Sindom richtete sich auf.
Sein Helmscheinwerfer brannte noch, und die Taschenlampe knipste
er jetzt wieder zusätzlich an.
Überall leuchtete und schimmerte es, große rote Ovale
und bernsteingelbe Flächen strahlten, sobald er den Lichtstrahl
darauf richtete.
Es waren keine angenehmen Flächen. Etwas Unheilvolles.
Beklemmendes laß in der Luft, und wenn… die Farben
leuchteten, dann verstärkten sich dieser Eindruck und dieses
Gefühl nur noch.
Die roten, gelben und grünen Lichter – sie kamen ihm vor
wie riesige Augen, die sich öffneten und schlossen…
Reiß’ dich zusammen, Walter! redete er sich ein. Dir
kommen doch sonst nicht so komische Gedanken.
Eine unerklärliche Angst ergriff von ihm Besitz, und er
schalt sich im stillen einen Narren.
Die Finsternis um ihn herum schien zu leben. Beinahe
körperlich spürte er, daß Augen auf ihn gerichtet
waren.
Minutenlang schlug sein Herz schneller, und die Innenflächen
seiner Hände wurden feucht.
Der Boden unter seinen Füßen knirschte seltsam, als
würde er über das feuchte Fell eines gigantischen,
schlafenden Tieres laufen.
Seine Hände zitterten. Aus weiter Ferne hörte er jemand
rufen.
Horst? Johann?
In seinem Gürtel gab es ein pfeifendes akustisches Signal und
erinnerte ihn daran, daß er ein Funksprechgerät bei sich
hatte, um alles schildern zu können. Aber er hatte es bisher
nicht angewendet.
»Hallo, Walter, verdammt, was ist denn los?«
Das Gerät war auf Empfang geschaltet, und es schien, als
würden sich die Freunde dort oben ebenfalls erst in diesem
Augenblick mit Verzögerung an das erinnern, was sie abgesprochen
hatten.
Das alles war äußerst mysteriös.
»Warum meldest du dich denn nicht?« Krentzers Stimme
klang besorgt.
Sindom griff nach dem Gerät und drückte den
Umschaltknopf.
»Hier bin ich. Könnt ihr mich verstehen?«
»Ausgezeichnet! Wieso ist das Seil gerissen?«
»Keine Ahnung. Scheint einer angeknabbert zu haben.«
Sindom hatte der Humor nicht verlassen. »Ich seh’ mich in
der Gegend ein bißchen um. Merkwürdig ist es hier unten
ja. Ich wurde auf einem Teppichboden empfangen.«
»Du spinnst!«
»Ich sage die reine Wahrheit.«
»Wir kommen auch runter!«
»Wartet noch! Ich will erst etwas über unsere Umgebung
wissen. Sie
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