Macabros 028: In der Falle des Schattenfürsten
Tochter war – gab es
keinen zweiten Versuch.
Obwohl Rita drei Jahre älter war als ihre Schwester, lebte
sie leichtfertiger in den Tag hinein.
Cynthia Moreen mußte das Telefon zehnmal klingeln lassen,
ehe am anderen Ende der Strippe abgehoben wurde.
»Ja?« seufzte eine verschlafene Stimme.
»Ich bin es, Cynthia.«
»Ach du«, klang es enttäuscht zurück.
»Wie kommst du denn auf die Idee, mitten in der Nacht
anzuklingeln?«
»Mitten in der Nacht? Wirf mal einen Blick auf deinen Wecker.
Es ist neun.«
»Neun, um Himmels willen! Und da bringst du es
tatsächlich fertig, mich zu wecken?« stöhnte Rita
Moreen entsetzt. »Es wird doch nicht wegen der lumpigen
fünfzig Dollar sein, die ich mir ausgeborgt habe. Ich habe dir
alles auf einen Zettel geschrieben, Cynthia. Du brauchst keine Angst
zu haben, es waren keine Diebe in deiner Wohnung. Ich bin
dagewesen.«
»Ja, ich weiß. Ich hab dich noch gesehen. Leider zu
spät.«
»Bist du gerade nach Hause gekommen? Ich habe dich nicht auf
der Straße bemerkt.«
»Doch nicht auf der Straße, Rita. Was redest du
für dummes Zeug? Ich war doch gar nicht weg. Wenn du schon in
meiner Wohnung herumschnüffelst, kannst du mich das wenigstens
wissen lassen. Ich habe einen verhältnismäßig
leichten Schlaf. Ich hätte eigentlich wach werden
müssen.«
»Wach werden müssen, Cynthia? Ich war sogar in deinem
Schlafzimmer.«
»Na also.«
»Was heißt: Na also? Dein Bett war zwar verwühlt.
Aber du hast nicht darin gelegen.«
*
Cynthia Moreen glaubte, einen Faustschlag mitten in das Gesicht zu
erhalten.
»Ich war – nicht – in meinem Bett?«
»Was wundert dich so daran? Bist du mal über die
Stränge geschlagen? Zu tief ins Glas geschaut? Kann jedem mal
passieren. Kommt immer ganz darauf an, in welche Gesellschaft man
gerät. Vielleicht ist auch etwas anderes passiert, und
du…«
Cynthia Moreen wußte, was jetzt kommen würde.
»Hör auf damit!« schrie sie ins Telefon. Sie konnte
nicht verhindern, daß ihre Stimme sich überschlug.
»Nanu, seit wann so empfindlich? Ich denke, in unserer
Familie herrscht Offenheit.«
Das war die typische Moreen-Art, die Dinge knallhart beim Namen zu
nennen. Aber nicht immer und zu jeder Zeit war dies zu
verkraften.
Cynthia Moreen konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man sie
daran erinnerte, daß sie einmal Drogen genommen hatte.
Genau darauf hatte Rita anspielen wollen.
»Du weißt genau, daß ich weg davon bin. Dieses
Thema ist begraben.«
»Schön. Entschuldige.« Rita Moreen gähnte
herzhaft ins Telefon. »Ich weiß jetzt immer noch nicht,
was du eigentlich von mir willst.«
»Ich wollte lediglich wissen, wie du mich gestern abend, als
du in der Wohnung warst, angetroffen hast.«
»Das habe ich dir gerade gesagt.«
»Ist dir irgend etwas aufgefallen?«
»Aufgefallen? Was sollte mir aufgefallen sein?«
»Etwas Besonderes, Außergewöhnliches. Mein Gott,
ich weiß es ja auch nicht. Irgend etwas eben. Hast du
Geräusche gehört? War irgendeine besondere Stimmung oder
ein Licht im Zimmer?«
»Nur das Deckenlicht, das ich angeschaltet hatte.«
Cynthia Moreen schluckte. »Ich muß mit dir sprechen,
Rita«, sagte sie mit plötzlich veränderter Stimme. Es
klang beinahe flehend. »Ich muß dich treffen.«
Rita Moreen merkte, daß mit Cynthia etwas nicht stimmte,
daß sie offenbar jemanden brauchte, mit dem sie reden
konnte.
»Was ist los mit dir, Cynthia? Sorgen?«
»Ja.«
»Aber…«
»Nicht am Telefon, Rita. Ich muß dir
gegenübersitzen, muß mit dir Auge in Auge sprechen. Ich
habe noch nicht gefrühstückt. Ich mache dir einen
Vorschlag: wir treffen uns in dem kleinen Hotel in der Toron-Street,
Ecke Baker-Street. Ich lade dich ein zu einem anständigen Kaffee
und Eiern mit Schinken.«
»Einverstanden. Den Kaffee nehme ich an. Ich kann ihn,
ehrlich gestanden, auch gebrauchen. Das muß einer sein, in dem
der Löffel stehen bleibt, Cynthia. Sonst fallen mir die Augen
zu. Frühstück um zwanzig nach neun! Wo gibt es denn so was?
Normalerweise schlürfe ich meinen Kaffee, wenn andere ihren
Lunch einnehmen.«
*
Das kleine Hotel hatte eine freundliche Atmosphäre.
Die Ruhe, die im Frühstückszimmer herrschte, die sich
lautlos wie Schatten bewegenden Bedienungen, die weißen,
gestärkten Tischdecken und die bunten Blumensträuße,
dies alles strahlte eine anheimelnde Atmosphäre aus.
Cynthia Moreen wählte einen Eckplatz, von dem aus sie die
Straße überblicken konnte. Das Spezialglas ließ
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