Macabros 028: In der Falle des Schattenfürsten
sie
gesehen, diese jungen Menschen, keiner älter als zwanzig damals.
Und alles Greise, menschliche Wracks, Verrückte, die
dahinvegetierten. Da habe ich mir geschworen: ich nicht. So elend
gehe ich nicht zugrunde. – Gut, nehmen wir einmal an, es gibt
Nachwirkungen. Dann müßte ich mich aber doch daran
erinnern, wie und wann ich in solche Situationen komme. Wenn ich
Wahrträume hätte – dann bin ich aber noch da,
greifbar, verstehst du – und löse mich nicht einfach in
Luft auf.«
»Vielleicht löst du dich gar nicht in Luft auf.
Vielleicht glaubst du nur, im Bett zu liegen. In Wirklichkeit gehst
du durch die Stadt und weißt es nicht. Illusionen, Visionen.
Bilder und Gefühle überschwemmen dich, deren dein Geist
nicht mehr Herr wird.«
»Ich war im Nachthemd.«
»Dann schlafwandelst du.«
»Das müßte man merken. Ich lebe nicht in einem
weltabgeschiedenen Dorf.«
Das Gespräch drehte sich im Kreise, sie kamen zu keinem
Ergebnis. Das war ja auch nicht zu erwarten gewesen.
»Laß dich untersuchen! Unternimm schnell etwas! Je
früher, desto besser.«
»Genau das habe ich vor, Rita.«
»Hat dich Seinerzeit nicht ein Doktor Shamber
behandelt?«
»Genau. Dr. Bruce Shamber. Psychiater. Ich habe schon bei ihm
auf der Couch gelegen.« Sie lachte, warf einen Blick auf ihre
Uhr. »Ich werde ihn sofort anrufen und um einen Termin bitten.
Ich bin sicher, daß er mich umgehend zu sich kommen
läßt, wenn ich ihm meine Lage schildere.«
»Sicher.«
Cynthia Moreen frühstückte nicht einmal zu Ende. Sie
suchte die Telefonzelle auf, blätterte in dem Telefonbuch nach
und wählte eine Nummer. Sie blieb insgesamt fünf
Minuten.
Rita Moreen sah ihre Schwester als Silhouette hinter der milchigen
Scheibe, wie sie gestikulierte. Sie war sehr quirlig.
Dann kam sie zurück. »Alles klar. Ich kann sofort
kommen. Er wird mich sofort drannehmen und mich
untersuchen.«
»Shamber scheint eine Schwäche für dich zu
haben«, konnte Rita Moreen sich nicht verkneifen zu
bemerken.
»Ich bin ein Fall für ihn, Rita. Mehr nicht. Ein
interessanter Fall allerdings. Wir haben uns seit sechs Monaten nicht
mehr gesehen. Er ist natürlich interessiert daran, zu sehen, was
aus mir geworden ist.«
Rita Moreen frühstückte betont langsam und zündete
sich in Ruhe eine Zigarette an. Cynthia hatte es mit einem Male sehr
eilig. Sie ließ eine Zwanzig-Dollar-Note zurück und bat
ihre Schwester zu bezahlen.
Rita Moreen beobachtete Cynthia, wie diese auf den Parkplatz ging
und in einen metallicgrünen Lancia stieg. Der reihte sich eine
halbe Minute später in den fließenden Verkehr ein und war
gleich darauf nicht mehr zu sehen.
Die siebenundzwanzigjährige Schauspielerin, derzeit ohne
Engagement, blickte sinnend dem Rauch ihrer Zigarette nach, erhob
sich und betrat die Telefonzelle.
Sie wählte eine Nummer, ohne erst im Telefonbuch
nachzuschlagen.
Eine melodisch klingende Frauenstimme meldete sich.
»Praxis Dr. Shamber. Guten Tag.«
»Guten Tag. Dr. Shamber bitte.«
»Wen darf ich melden?«
»Rita Moreen.«
Es knackte in der Leitung. Dann die Stimme von Dr. Shamber. Eine
ruhige, besonnene Stimme, die einem Mann gehörte, zu dem man auf
Anhieb Vertrauen haben mußte.
»Rita?« fragte er überrascht. »Jetzt verstehe
ich die Welt nicht mehr. Erst deine Schwester und nun du. Was ist
denn jetzt passiert? Bist du aus dem Bett gefallen?«
»Nein. Ich habe mich mit meinem Schwesterchen getroffen. Die
Geschichte, die sie mir erzählt hat, gefällt mir. Daraus
läßt sich etwas machen.«
»Rita!«
»Hör mir gut zu, Bruce. Sie weiß von nichts, und
sie braucht auch nie etwas zu erfahren. Du hast sie damals wieder auf
die Beine gestellt, und ich habe dir gesagt, daß dies der
größte Unsinn gewesen ist, den du machen
konntest.«
»Damals kannte ich dich noch nicht.«
»Eben«, unterbrach sie ihn. »Dafür kennst du
mich jetzt um so besser. Cynthia kommt zu dir. Sie wird dir eine
tolle Story erzählen. Laß dir etwas einfallen, um sie dazu
zu bringen, daß sie Hals über Kopf abreist. Erzähle
ihr etwas von zerrütteten Nerven, über die Unruhe in der
Stadt und dergleichen mehr. Wie ich Cynthia kenne, wird sie umgehend
ein Ticket buchen, zweieinhalbtausend Kilometer weiter südlich
fliegen und unser kleines, familieneigenes Urlaubshaus am Meeresrand
aufsuchen, um dort allein ein paar ruhige Tage zu verbringen. Das hat
sie früher schon immer getan, wenn sie einmal aus dem
Häuschen war und sie die ganze Welt ankotzte.«
»Aber Rita,
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