Macabros 030: Tempel der Versteinerten
ihren
Opfern auf. Sie fallen über Neueindringlinge her oder über
die Wahnsinnigen. Geister und Untote sind keine Menschen. Jedesmal,
wenn Aii-Ko’on-Taks vierter Arm einen Streich führt und
einen Kämpfer trifft, wird eine neue Gruppe in den Grüften
befreit, und Schrecken und Gefahren auf dem Eiland mehren sich, und
es scheint, als würde ein großes, grausames Spiel
ablaufen, als hätte Aii-Ko’on-Tak, die Achtarmige mit den
zwei Sinnen, Freude daran, neue Konstellation zu schaffen.«
Er legte eine Pause ein. Das Reden strengte ihn an. Er sprach so
leise, daß sich Björn Hellmark ganz nach vorn beugen
mußte, um ihn noch zu verstehen. Die Kraftlosigkeit, unter der
Hasard litt, war erschreckend.
»Der fünfte Arm stachelt zur Mordgier an –
hüte dich vor denjenigen, die vom fünften Arm getroffen
wurden! Sie benutzen listenreich ihren Geist, um neue Opfer
anzulocken und man meint, einen guten Freund getroffen zu haben,
einer, der einem Hilfe bringen kann – und viel zu spät
erkennt man, daß man seinem Mörder in die Hände
gefallen ist. Zu bedauern die Unglücklichen, die hier auf der
Insel Zuflucht suchten und in ein Tollhaus geraten sind. – Der
sechste Arm führt den Getroffenen in die unaufhaltsame
Selbstzerstörung. Der siebte Arm verwandelt das Opfer in
Stein.«
Hasard Kolons Schultern sanken herab. Sein Atem ging schwer. Seine
Lungen röchelten.
»Man muß die Streiche der Schwerter abwehren, schreiben
die Alten.« Er fuhr unvermittelt fort, und seine Stimme war nur
noch ein Hauch. »Ich bildete mir ein, ein guter
Schwertkämpfer zu sein – aber gegen acht Arme gleichzeitig
zu kämpfen – ist ein Unding. Man muß ihr entweder die
Arme abschlagen oder so schnell sein, daß man unter ihnen
durchtauchen und den Altarsockel, auf dem sie sitzt, erreicht, ohne
mit den Kampfhänden in Berührung zu kommen. Die Augen
über ihrer Stirn – sie sind nicht echt – man muß
sie mit der bloßen Hand berühren – und
Aii-Ko’on-Tak verrät ihr gesamtes Wissen, das sie seit der
Geburt des Kosmos’ gesammelt hat. Sie wird die Kranken heilen,
Wunder werden geschehen – so steht es in den Büchern der
Weisen. Aber bis dahin ist ein weiter Weg, und der Kämpfer, der
schneller sein Schwert führt als die acht Arme der Göttin
– muß erst noch geboren werden.«
Er wankte und drohte nach vorn zu fallen. Björn reagierte
schnell, fing ihn auf und bettete ihn zurück auf das weiche
Mooskissen.
»Du darfst nicht mehr sprechen, Hasard. Schone deine
Kräfte!«
»Wozu? Es geht zu Ende – so oder so – wenn ich aber
spreche, tue ich dir doch einen Gefallen und kann verhindern,
daß du die gleichen Fehler begehst, wie ich sie begangen habe
– wie andere sie begingen – hätte ich manches vorher
gewußt – ich hätte manches anders gemacht. Aber es
gab niemand, der mir seine Erfahrungen mitteilte…«
»Wenn das alles so schrecklich ist, wie du sagst, Hasard,
dann verstehe ich nicht, warum ihr trotzdem den Weg zu dieser Insel
eingeschlagen habt. Dir – und wahrscheinlich auch den anderen
– war doch bekannt, was du mir jetzt erzählt hast. Es ist
doch sicher nicht so, daß ihr vom Wirken Aii-Ko’on-Taks
erst hier auf dem Eiland erfahren habt?«
»Nein, so war es nicht – aber Aii-Ko’on-Taks
geheimnisvoller Tempel, der seit jeher der Tempel der Versteinerten
genannt wird, ist, schon uralt. Und zu allen Urzeiten kamen welche,
die ihr das Wissen abtrotzen wollten. Es steht auch geschrieben,
daß Aii-Ko’on-Taks Insel der Katastrophe, die sich
anbahnt, nicht zum Opfer fallen wird. Was lag näher, als diese
Insel, die praktisch vor Xantilons Haustür liegt,
aufzusuchen…«
»Da hast du recht, Hasard.«
»Ich werde sterben – ich fühle mein Ende kommen,
und es ist gut, daß es nicht mehr lange dauert. – Ich habe
versucht, das Schicksal zu wenden, ich habe getan, was auch andere
taten, aber wir sind zu schwach, die Gunst der Göttin zu
erringen. Du bist hier gefangen, du kannst nicht zurück, wie du
mir gesagt hast. Seid auf der Hut vor all den Gefahren die hier
lauern! Ich gab dir den Rat zu fliehen. Das ist dir nicht
möglich. Jetzt muß ich dir einen anderen Rat geben:
wandere gen Osten, wo sich das mächtige Gebirge wie eine Kuppel
in der Mitte der Insel erhebt. Du wirst den Tempel finden. Nimm die
Herausforderung an! Vielleicht ist dir das Glück hold. Jedes
Glück ist mit einem Risiko verbunden. Auch das muß man
sehen – deinen Namen hast du mir noch nicht
gesagt…«
»Ich heiße
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