Macabros 030: Tempel der Versteinerten
getrübt. Vielleicht hatte er Fieber und
wußte nicht, was er sagte.
Mit leiser Stimme widersprach Hasard Kolon jedoch. »Xantilon
liegt hinter uns – das hier ist die rätselhafte Insel der
Göttin Aii-Ko’on-Tak…«
*
»Aii-Ko’on-Tak?« Björn hatte diesen Namen nie
gehört, aber er begriff den Sinn der Bezeichnung –
Aii-Ko’on-Tak bedeutete Göttin mit den acht Armen und den
zwei Sinnen. Eine merkwürdige Bezeichnung, dachte er bei
sich.
»Ihr Tempel liegt mitten in den Bergen, mitten auf der Insel
– Aii-Ko’on-Taks kleines Reich kann Hölle und
Zufluchtsort sein – in den Büchern der Weisen, die Xantilon
im Lauf seiner großen Geschichte hervorgebracht hat, steht
geschrieben, daß man den Kampf mit der Göttin bestehen
muß, um hinter das Geheimnis seiner selbst, hinter das
Geheimnis von Raum und Zeit und des Universums zu kommen.
Aii-Ko’on-Taks Sinne sind verschmolzen mit der Tiefe des Kosmos.
Wem es gelingt, ihre Gunst zu erringen, der wird mit reichem Wissen
belohnt. Es ist uns gelungen, das gefährliche Reich Maruburs zu
passieren und das Schiff zu erreichen. Klares Wetter, strahlend
blauer Himmel und ein ruhiges Meer empfingen uns – im Licht des
neuen Tages erblickten wir die Insel – alle wollten hin…
Aii-Ko’on-Taks Eiland erschien uns als ein Fanal der Hoffnung,
und wir hatten nur eines im Sinn: den Tempel zu finden und den Kampf
mit Aii-Ko’on-Tak zu wagen. Wenn wir das Wissen der Zukunft
besaßen, konnten wir den Dämonen, die ihre gierigen
Hände nach Xantilon ausstrecken, mit diesem Wissen begegnen und
möglicherweise den Untergang unserer Welt verhindern. Aber der
Tempel Aii-Ko’on-Taks ist ein Ort trügerischer Hoffnung. Es
ist unmöglich, ihren Schwerthieben zu entgehen…«
»Du wurdest getroffen?«
»Ja. Vom ersten Arm. Und wie du siehst, ist die Wirkung
hundertprozentig. Der erste Arm der Göttin bringt tödliche
Krankheit. Ich irre seit Tagen durch Berge und Dschungel – und
ich werde Zusehens schwächer. Mein Wunsch war es, mich von den
Klippen ins Meer zu stürzen, um dieser unheilvollen Insel zu
entkommen – aber nicht mal dazu bin ich imstande. So hat mein
Sterben aber nun doch noch einen Sinn bekommen: euch zu warnen. Kehrt
zurück, solange es noch Zeit ist! Dringt nicht in das Innere der
Insel ein! Aii-Ko’on-Tak läßt sich ihr Geheimnis
nicht entreißen.«
»Wir können nicht zurück, Hasard – unser
Schiff wurde vom Sturm an den Klippen zerschmettert, wir sind
Schiffbrüchige…«
Hasard Kolons Augenlider zitterten. »Dann seid ihr
verloren…«
Er versuchte sich aufzurichten. Hellmark stützte ihn. Mit
einem schwachen Nicken bedankte der junge Krieger sich.
»Wie weit ist die Insel der Göttin vom Kontinent
entfernt?« fragte Hellmark. »Es ist uns so vorgekommen, als
wäre diese Insel nur eine Landzunge…«
»Dieser Eindruck täuscht. Vom Festland aus ist
Aii-Ko’on-Taks Eiland überhaupt nicht zu erblicken. Es
liegt seit einer Ewigkeit hinter einer Nebelwand verborgen, und nur
die Legenden von dort erreichten uns durch Seefahrer, durch Seher und
Weise…« Hasard Kolon lehnte in Hellmarks starken Armen.
»Wir sind weit vom Mutterland entfernt – ihr habt die
gleichen Irrbilder gesehen wie wir – Aii-Ko’on-Taks Eiland
ist eine einzige große Falle. Wer hierher gerät, ist
verloren. Viele tausend haben das schon zu spüren bekommen. Ich
bin nur einer von diesen vielen – ich muß froh sein,
daß es das Schicksal noch so günstig mit mir
meint.«
Hellmark blickte ihn von der Seite her an. Was war daran so
günstig, daß ein junger Mensch an einer unheilbaren
Krankheit, die seine Kräfte aufzehrte, zugrunde ging?
»Gibt es denn noch Schlimmeres, Hasard?«
»Ja. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Die Insel ist
voller Wunder und Schrecken, von denen ihr euch nichts vorstellen
könnt. Und alles geht auf Aii-Ko’on-Taks Einfluß
zurück, auf die Magie ihrer Schwerter. Es ist gleichgültig,
von welchem Arm man getroffen wird. Jeder Arm hat eine andere
Bedeutung: der erste bringt tödliche Krankheit. Ich bin das
lebende Beispiel dafür. Der zweite führt zum Wahnsinn. Die
Insel ist voller Wahnsinniger. Der dritte führt zum ewigen
Schlaf. Man kann die Unglücklichen nicht mehr wecken. Man sieht
sie atmen, sieht sie vor sich liegen – aber keiner kann sie aus
den Träumen zurückholen – der vierte Arm ruft die
Geister und Untoten aus den Grüften. Die Schrecklichen streifen
nachts durch die Bergtäler und Wälder und lauern
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