Macabros 036: Gruft der bösen Träume
Der
Wind säuselte sanft. Die Luft war noch kalt.
Sie hatten vortrefflich geschlafen.
Es war neun Uhr, als sie gemeinsam nach unten gingen. Der
Frühstückstisch war schon gedeckt. Es roch nach Tee,
frischem, selbstgebackenem Brot, nach Eiern und Speck.
An einem Tisch, auf dem eine rotweiß karierte Decke lag,
nahmen sie Platz.
Cynthia O’Donell trug ein dunkelblaues Kleid mit
Spitzenkragen. Sie grüßte freundlich, war bestens
aufgelegt und schleppte auf einem großen Holztablett alles
heran, was das Herz begehrte.
»Mein Mann wird um die Mittagsstunde zurück sein, hoffe
ich jedenfalls«, erwiderte sie auf eine diesbezügliche
Frage Stan Falkners. »Versprochen zumindest hat
er’s.«
Sie frühstückten eine Stunde lang.
Es war halb elf, als sie das Haus verließen. Da erst tauchte
Cynthia O’Donell wieder aus der Küche auf, in der sie die
ganze Zeit hantiert hatte.
»Wir sehen uns die Gegend ein wenig an«, verabschiedeten
sich Stan und Cathy wenig später.
Sie gingen ums Haus herum.
Cathys Blick lag auf der Hauswand, der offenen Garage
gegenüber, und sie stellte fest, daß das Motorrad nicht
mehr da war.
»Komisch«, sagte sie nur.
»Was ist komisch?« fragte Stan. Er trug einen
dunkelgrünen Parka mit aufgeknöpfter Kapuze. Die setzte er
aber nicht auf.
Cathy hatte ihren Pelzmantel an. Den knöpfte sie nicht
zu.
»Das Motorrad ist weg.«
»Stimmt. Und das schließt du daraus?«
»Scheint daß der Wirt doch im Haus ist, daß er
uns aber offensichtlich aus dem Weg geht.«
Stan dachte nach. »Vielleicht haben sie Krach bekommen. Der
Haussegen hängt schief. Das wollen sie nicht offen
austragen.«
»Möglich. Oder es ist jemand im Haus, von dem wir nichts
wissen sollen.«
»Jetzt muß ich aber sagen: komisch. Du hast manchmal
Gedanken, also weißt du…«
Er schüttelte nur den Kopf.
»Ich hätte gestern abend schon so ein Gefühl,
Stan.« Cathy ließ nicht locker. Das war typisch für
sie. »Jemand hat uns beobachtet. Ich weiß es ganz
genau.«
»Warum soll man uns beobachten?«
Sie zuckte die Achseln. »Woher soll ich das wissen?
Vielleicht ist ’s so: junges Künstlerehepaar, ziemlich
erfolgreich, kommt aus London angereist, um vierzehn Tage in Ruhe und
Abgeschiedenheit zu verbringen. Vielleicht haben die Leute Schmuck
dabei, sicher aber viel Geld, denn irgendwann müssen sie
schließlich ihre Rechnung bezahlen. Hier weiß man das,
und jemand hat sich vorgenommen, uns um ein paar hundert Pfund
ärmer zu machen.«
»Da denkst du an den Wirt?«
»Es muß nicht der Wirt sein. Ebensogut können die
O’Donells einen Sohn haben. Einsam hier aufgewachsen, ein
bißchen menschenscheu, dadurch vielleicht auch etwas
seltsam-menschlich eingestellt. Man hat doch schon die
verrücktesten Dinge gehört…«
»Ich kenne Sie nicht wieder, Fürstin«, fing Stan
Falkner das alte Spiel an. »Sie lesen zuviel Krimis. Ihre
Phantasie geht mit Ihnen durch.«
Normalerweise ging Cathy auf das ›Fürstinnen-Spiel‹
ein. Diesmal aber nicht. Sie blieb sehr ernst. »Ich habe ein
komisches Gefühl, Stan. Seit gestern abend. Ich wollte es dir
nicht sagen. Ich kann es nicht begründen. Es ist einfach
da.«
»Das ist die Umgebung, Baby.« Er nahm sie in die Arme,
während sie sich weiter vom Haus entfernten. »Wir sind das
nicht mehr gewöhnt. Wenn wir nicht ständig Hunderte von
Menschen um uns wahrnehmen, wenn wir keinen Straßenverkehr
hören, glauben wir, etwas sei nicht in Ordnung. Wo ein Haus
neben dem anderen steht, fühlen wir uns sicher, aber sobald wir
irgendwo in einem Stück unberührter Natur ein einsames Haus
sehen, fängt unsere Phantasie an, sich zu regen. Wir denken uns
dann gleich die tollsten Geschichten aus. Da muß bestimmt einer
wohnen, der die Gemeinschaft meidet, weil er sich mit abstrusen
Dingen beschäftigt. Vielleicht ist er ganz und gar ein Hexer?
Liest seltsame Bücher, experimentiert mit magischen und okkulten
Sprüchen – ruft die Geister oder ganz und gar den Teufel
höchstpersönlich an? Ha! Nur in abseits gelegenen
Häusern muß man mit solch unheilvollen Dingen rechnen.
Cathy! Was ist nur los mit dir?«
Sie seufzte. »Wahrscheinlich hast du recht. Es ist bestimmt
so, wie du sagst. Wir sind die Einsamkeit nicht mehr gewöhnt und
fürchten uns vor ihr. Reden wir nicht mehr davon…«
*
Auf ihrem Spaziergang fanden sie einen Pfad zur Küste. Den
gingen sie. Zwischen kahlen, zerklüfteten Felsen führte ein
steiniger Weg in die Bucht, die man von dem oben auf der
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