Macabros 041: Tschinandoah - wo die Steine leben
leises, gefährliches Lachen, dann schnappte
die Klappe zu.
Im nächsten Moment bewegte sich knarrend der von
draußen vorgelegte Riegel.
Die Tür wurde geöffnet.
Das seltsamste und erschreckendste Wesen, das Mahay je in seinem
Leben gesehen hatte, stand vor ihm.
Es war Tamuur, der Scharlachrote.
*
Der breite Kopf erinnerte an eine aufgeklappte Muschel.
Er war flach und in zwei Hälften geteilt.
Die linke Seite schimmerte in einem dunklen Orange. Haut- und
Muskelstränge schienen zu breiten, flachen Bändern
zusammengewickelt. Die rechte Seite war dunkelgrün, wie es in
der tiefsten Tiefe eines unerforschten Ozeans vorkommen mochte.
Die gerippten Ohren, an verkrüppelte Echsenflügel
erinnernd, lagen eng diesem breiten, furchteinflößenden,
unmenschlichen Schädel an.
Aus dem haarlosen Kopf aber züngelte etwa dreißig
Zentimeter hohe Flammen, die eine dichte, ständig in Bewegung
befindliche Krone bildeten. Diese Feuerzungen entwickelten einen
scharlachroten Schein, die die Luft in unmittelbarer Nähe des
unmenschlichen Magiers aufglühen ließ.
Aus dem Körper des Inders schien jegliches Leben zu weichen.
Tamuurs Anblick lähmte ihn.
Tamuur lachte leise. »So also sieht ein Mutiger aus, der sich
vorgenommen hat, das Leben in Ullnak wieder zu normalisieren. Ich
habe es nicht glauben wollen, als ich davon hörte. Aber es ist
tatsächlich so, daß ihr, die ihr von der anderen Seite der
Welt zu uns kommt, euch anmaßt, uns bekämpfen zu
müssen.«
»Wenn der Kampf gerechtfertigt ist, ja.« Rani war mit
dem Klang seiner unsicheren Stimme nicht zufrieden.
»Wie willst du gegen einen Schatten kämpfen, den du
nicht greifen kannst? Der Schatten wird dich besiegen, weil du deine
Kräfte vergeudest. Schon deine Gedanken warnen mich. Du
könntest mich nicht mal heimtückisch ermorden. Jeder
Gedanke, der hier von wem auch immer gedacht wird, gehört mir.
Ohne mich zu kennen, hast du die Begegnung mit mir
gesucht…«
»Ich hörte von einer Fürstin, die Aleana
heißt…«
»Sie ist meine Frau. Auch wenn sie es nicht sein möchte.
Ich sehe, auch das interessiert dich, nun so werde ich es dich wissen
lassen: Aleana lebte im Paradies, wie sie es sich vorstellte. Nur so
konnte ich ihre Liebe gewinnen. Ich lege großen Wert auf ihre
Anwesenheit und Liebe. Dann zeigte ich ihr mein wirkliches Antlitz
und die wirkliche Welt, in der sie lebte. Sie wollte fliehen. An der
Seite eines mächtigen Magiers schien ihr das Leben nicht mehr
lebenswert zu sein. Töricht, nicht wahr? – Es ist
verwunderlich, daß die Menschen nicht begreifen, wo ihre
Grenzen liegen. Auch du siehst deine Grenzen nicht, wie ich bemerkt
habe. Du bist hierhergekommen in die Stadt, um den Kult
kennenzulernen, der sich um deinen Freund entwickelt hat. Deine
Gedanken sind schneller als deine Worte. Du brauchst mir nichts zu
erklären. Der Mann, der dein Freund ist und der sich Björn
Hellmark nennt, wollte mein Tal durchqueren. Als er die Puppe
benutzte, kam es zur Katastrophe, da in einer anderen Zeit gleiche
Impulse ausgesandt wurden. Das Raum-Zeit-Kontinuum verschob sich. Die
Bedingungen, unter denen mein Tal bisher stand, gingen verloren. Aber
die Voraussetzungen, die ich für eine Übernahme des Landes
und der Stadt Ullnak geschaffen hatte, erfüllten sich. Ich wurde
zum Herrscher und kann hier das vollenden, was ich in meinem Tal
unterbrach. Hinter hohen Mauern entstehen die gleichen Gärten,
in denen ich das Leben nach meiner Vorstellung forme, in der die
Gedanken und Wünsche mir gehören. Hier bin ich der Herr der
Welt! Außer meinem Willen gibt es nichts. Ich will, daß
die Gedanken aller in Ullnak sich nur mit einer Person
beschäftigen: mit diesem Hellmark. Alle sollen glauben,
daß er der Initiator war, der Ullnak ins Verderben führte.
Niemand mehr denkt daran, daß ich, Tamuur, der eigentliche
Usurpator bin. Sie haben ihr Ventil – sie fühlen sich frei,
während ich unbeobachtet meinen Weg verfolgen und meinen
Palastgarten vervollständigen kann. Wo Hellmark jetzt auch immer
ist: die Flut der bösen, auf ihn konzentrierten Gedanken wird
ihn in mehr oder minder abgeschwächter Form erreichen und ihn
auf irgendeine Weise schädigen. Wie sich das im einzelnen
äußert, kann ich leider auch nicht sagen. Der
Aufenthaltsort des Mannes, der es wagte, mir die Stirn zu bieten, ist
mir nicht bekannt. Aber Tamuur hat Zeit. Alle Zeit der Welt steht ihm
zur Verfügung. Er gehört dank Rha-Ta-N’mys
großer Gnade zu den wenigen
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