Macabros 041: Tschinandoah - wo die Steine leben
Unsterblichen, die sie sich
geschaffen hat.«
Er unterbrach sich, und die glühenden, unmenschlichen Augen
bohrten sich in Mahays Blick.
»Du glaubst, mutig zu sein. Ich bin gespannt, ob du es auch
noch in Tamuurs Garten bist«, sagte der Scharlachrote
unvermittelt. »Dort unten kannst du deinen Mut zur Schau
stellen. Du denkst, ich habe leicht reden? Du würdest es schon
mit mir aufnehmen, wenn du die Hände frei hättest? Nun, das
ist gleich geschehen.« Kaum waren seine Worte verhallt, fielen
Mahays Handfesseln ab wie durch Zauberei. »Deine Hände sind
frei, du kannst dich innerhalb deiner Zelle frei bewegen. Ich warne
dich allerdings, auch nur die Hand nach mir auszustrecken. Sie
würde dir im gleichen Augenblick abfaulen.«
Mahay, der den Bruchteil einer Sekunde zuvor ernsthaft den
Gedanken gehabt hatte, dem Scharlachroten an die Kehle zu gehen,
hielt sich zurück. Daß dieses fremdartige, grausam
denkende Geschöpf zu schrecklichen magischen Taten fähig
war, bewies die Tatsache der seltsamen Raum- und Zeitverschiebung
unmittelbar in Ullnak und die befremdliche Lebenssituation, die er in
der Stadt angetroffen hatte.
Mahay wollte etwas sagen, doch die Worte blieben ihm in der Kehle
stecken, als er sah, daß jemand hinter Tamuur auftauchte.
Sie war lautlos wie ein Geist die Treppen hochgekommen – doch
sie war kein Geist. Sie bestand aus Fleisch und Blut und war
schön wie eine Göttin.
Es war Aleana.
Mahay fielen die Mundwinkel herunter, als die zierliche, ernst und
traurig wirkende Gestalt an Tamuurs Seite trat und den fremden
Gefangenen musterte.
Rani sah diese Frau nicht zum ersten Mal.
Er hatte sie am frühen Abend schon beobachtet. Im »alten
Tal«. Da jedoch nicht als Mensch – sondern als Geist.
*
War sie’s oder war sie’s nicht?
Narrte ihn abermals ein Spuk?
»Nein, du irrst dich nicht.« Tamuur schien jede seiner
Überlegungen zu empfangen. »Sie war es – zumindest
ihre Seele, die ich dort Tag für Tag hinschicke. Das ist ein
Teil der Strafe, die ich ihr zugedacht habe. Sie soll immer wieder
jenen Ort besuchen, an dem sie glücklich war und an dem ich sie
vor die Entscheidung stellte, mich zu lieben oder ihr ganzes Leben
lang zu leiden.«
»Er ist der Satan in Person«, preßte die
schöne, bleiche Aleana mit belegter Stimme hervor. »Ich
weiß nicht, Fremder, woher du kommst und wohin du wolltest:
vielleicht hat sich mein Schicksal außerhalb Ullnaks
herumgesprochen, daß ich unter psychischem Terror stehe,
daß ich in die Hände eines grausamen Magiers gefallen bin,
der mich wie eine Marionette benutzt. Mein Volk weiß in
Wirklichkeit nicht, von wem es regiert wird, weiß nichts von
Tamuur, der hier sein Reich neu aufgebaut hat. Mein Volk tut alles,
um mit der Veränderung fertig zu werden, um den Feind zu
vernichten, den es in der Person jenes blonden Mannes mit dem Schwert
sieht, der als Blitzableiter herhalten muß. In Wirklichkeit
aber befindet sich der Löwe mitten in der Stadt, und er
reißt ein Opfer nach dem anderen. Wahllos holt diese Bestie
Angehörige meines Volkes hier in den Palast und in die
Gärten, die unter seiner Anleitung wild wachsen und
wuchern…«
Wie verzweifelt mußte diese junge Frau sein. Sie erkannte
die Aussichtslosigkeit ihrer Lage, sie war an eine unmenschliche
Bestie gekettet und konnte nichts daran ändern. Mit dem Mut der
Verzweiflung sagte sie Dinge, die Tamuur, der grausame Scharlachrote,
nur belächelte.
»Es ist der Mut der Schwachen«, sagte er belustigt.
»Dabei könnte für sie alles so einfach sein: liebe
mich – und alles liegt dir zu Füßen! Liebe mich so,
wie ich bin – und vergiß den, der sich Ka-To nannte und
der gekommen war, dich aus meinen Klauen zu befreien. Ich könnte
dich zwingen, mich zu lieben – für Tamuur wäre es ein
Gedanke. Aber ich will deine freiwillige Selbstaufgabe. Das wäre
der größte Triumph meines Lebens.«
»Einen Triumph, den du niemals genießen
wirst!«
Ihre Augen schossen Blitze. Dann wandte sie ihr blasses,
schönes Gesicht wieder dem Inder zu. »Du bist stark und
mutig. Aber gegen Tamuur ist kein Mut und keine Stärke
gewachsen. Ich bedaure es, daß du in diese meine Stadt gekommen
bist, in der ich selbst nur Gast bin. Ich könnte dir raten:
flieh’! Aber ich wüßte den Weg nicht, den du gehen
könntest. Verzeih’, daß ich dir nicht helfen
kann…« Mit diesen Worten kam sie auf ihn zu, stellte sich
auf die Fußspitzen und hauchte dem fremden Mann einen Kuß
auf die Lippen. »Wo
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