Macabros 042: Hades, Hort der Vergessenen
hallte über das
dunkle, stille Wasser, und seine Augen waren auf die Silhouetten der
seltsamen Gespensternachen gerichtet, die am zerfließenden
Horizont lautlos ihre Bahn zogen.
Täuschte er sich – oder geschah dort in der Ferne
tatsächlich etwas? Konnte es sein, daß einer der bizarren
Nachen größer wurde, daß er näher kam?
Ja!
Lautlos glitt er über das Meer der Finsternis und das
schwarze, mächtige Gerippe an dem hohen Mast war
aufgebläht, als wolle es unter dem Druck eines unspürbaren
Windes zerplatzten.
Der Nachen mit der für ihn bestimmten Botschaft an Bord
näherte sich dem Ufer!
*
Er konnte es kaum fassen, daß alles so glatt ging.
Er brauchte nur zu warten, bis der Nachen in die Bucht einlief, er
mußte dann nur die Botschaft an sich nehmen und den Nachen
betreten – und auf der anderen Seite des Meeres der Finsternis
würde dann ohne den geringsten Widerstand sein Übergang in
die Welt erfolgen, aus der er ursprünglich gekommen war.
So einfach war alles?
So einfach wäre alles gewesen…
Der Nachen füllte groß und mächtig das Blickfeld
der beiden so unterschiedlichen Gestalten am Ufer.
Björn hatte für nichts anderes sonst Augen und Sinne
bereit.
Selbst wenn er an seinen toten Leib auf dem Grund der Pyramide auf
Helon gedacht hätte, es würde nichts an den Dingen
ändern, die dort ihren Lauf nahmen.
In der Stadt Lovon nahmen die Dinge ihren Lauf, die seine Mission
– und sein Leben gefährdeten!
Doch davon ahnte er nichts…
*
»Es ist die Nacht, die die Entscheidung bringt.« Der
Mann, der das sagte, trug die dunkelviolette enganliegende Kleidung
und den Brustpanzer des Kriegers. Die grünen Embleme auf der
Brust – zwei Kreise, die sich spiralförmig ineinander
drehten und in deren Mittelpunkt ein dreieckiges Auge prangte, wiesen
ihn als einen der höchsten in der Runde der Versammelten
auf.
Dieser Mann war Lugom, der nach der Macht in Lovon griff und alles
vorbereitet hatte, um zum großen Schlag auszuholen.
Lugom war äußerlich ruhig und gefaßt und von
frischer, jugendlicher Erscheinung. Er lachte viel, seine Stimme
klang sympathisch, und wer diesen Mann sah, der mochte sich
wünschen, einen Freund an ihm zu haben.
Doch das Äußere täuschte.
Lugoms Herz war von Bitterkeit und Haß erfüllt, und wer
ihn genau anschaute, der konnte von Fall zu Fall sehen, wie ein
Ausdruck in seinen Augen erschien, der einen das Fürchten
lehrte.
Lugom kannte kein Erbarmen. Er war ein Kämpfer, der alles
daransetzte, das einmal gesteckte Ziel zu erreichen. Egal, unter
welchen Umständen auch.
Er lebte mitten in Lovon. Er hatte ein eigenes Haus und einen
großen, palastähnlichen Garten, der dieses Haus umgab.
In Lovon herrschten Ruhe und Frieden. In wenigen Stunden
würde sich diese Ruhe umwandeln in Freude und Heiterkeit. Denn
dann begann das große Fest, zu dem Fürst Chaner und seine
Gemahlin geladen hatten. In der Stadt würden Umzüge sein,
Kinder mit Lampions und Fackeln würden fröhlich durch die
dunklen Gassen wandern und dadurch dokumentieren, daß niemand
mehr Angst vor der Dunkelheit zu haben brauchte, wie das in gar nicht
allzu ferner Vergangenheit noch der Fall gewesen war.
Die letzten Feste waren auch alle glatt über die Bühne
gegangen. Die Nächte, in denen nur Eingeweihte es wagten, die
Häuser zu verlassen, um sich in den gespenstischen Tempeln zu
Ehren Rha-Ta-N’mys zu treffen, waren vorbei.
Aber sie würden wiederkommen.
Was Ghanor mühseliger Kleinarbeit abgebaut hatte, würde
wie eine Flut wieder über Lovon hereinbrechen.
Über kurz oder lang kam der Zusammenbruch. Die Weichen waren
gestellt.
Die Zwischenfälle in der letzten Zeit hatten das
Mißtrauen bei den Primitiven in den Wüstenrandzonen
bereits wieder geweckt. Heimlich war Lugom mit seinen Vertrauten
aufgebrochen und hatte Zwischenfälle provoziert. Wer hinter den
Anschlägen der Vermummten steckte, wußte niemand. Aber
daß sie aus Lovon kamen, daran bestand kein Zweifel.
Lugom war mit seinen Vertrauten tief in die Wüste
Hineingeritten. Rha-Ta-N’my hatte ihm im geheimen, hauseigenen
Tempel ein Zeichen gegeben. Er hatte um Unterstützung
nachgesucht. Die magischen Netze waren unter Anleitung der
Dämonengöttin entstanden und hatten dafür gesorgt, die
Untiere ohne großen Kräfteaufwand und ohne besondere
Gefahr zu jagen und zu fangen und heimlich hierher zu bringen.
Unter dem palastähnlichen Haus, das Lugom zur Verfügung
stand, befand sich ein geheimer Stollen,
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