Macabros 042: Hades, Hort der Vergessenen
ich
nichts mehr vor mit dir. Woanders aber kannst du mir – und wirst
du mir – als Hexe ein dienstbarer Geist sein. Ich habe dir das
Leben geschenkt, vergiß es nie! Du sollst zurückkehren in
die Welt der Gegenwart, in der du errettet wurdest, wo deine ruhelose
Seele ihre Wanderung beendete. Für mich ist deine Rückkehr
nur ein Gedanke…«
Und Rha-Ta-N’my dachte.
Der geheime Tempel in dem Burgpalast verschwamm vor Danielles
Augen, sie fühlte plötzlich einen entsetzlichen Ruck und
ein hartes Reißen in den Gliedern, als ob sie auf einer
Streckbank läge.
Aber sie lag gar nicht mehr auf dem Stein. Plötzlich stand
sie auf ihren Füßen.
Brausend schlug die Luft über ihr zusammen. Der
widerlich-scharfe Gestank war von einem Augenblick zum anderen
weg.
Eine neue, benzingeschwängerte Luft hüllte sie ein.
Menschen, Schatten, Dunkelheit…
Eine belebte Straße. Verkehrslärm. Hupende Autos.
Auf einer breiten Straße wälzte sich eine mehrspurige
Kolonne.
Ampeln sprangen von Rot auf Gelb auf Grün.
Hektische Lichtreklamen. In allen Farben.
Sie stand auf dem Bürgersteig einer belebten Straße,
und Passanten rempelten sie an, die zu den Bushaltestellen und den
Metroschächten eilten.
Sie war – mitten in Paris.
*
»Es wird bestimmt ein herrliches Fest. Ich freu mich
darauf.«
Der Mann, der das sagte, hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit
Lugom. Er war ebenso groß wie er, wies die ruhigen, beinahe
sanften Gesichtszüge auf, und hatte die gleichen grauen Augen.
Doch in diesen Augen kam mehr Sanftmut zum Ausdruck. Das kalte
Glitzern, das von Fall zu Fall Lugoms Blick beherrschte, fehlte in
den Augen Ghanors, des Prinzen von Lovon.
Ghanors Haar war schwarz im Gegensatz zu dem Lugoms, das mehr ins
Bräunliche changierte.
Die Frau, der Ghanor einen Kuß auf die Augenlider hauchte,
war bildschön.
Ihr Gesicht war hell und schmal, und die hochstehenden Jochknochen
verliehen ihrem Antlitz eine gewisse Verwegenheit. Diese Verwegenheit
war in der Tat vorhanden.
Osira war bekannt als hervorragende Reiterin, als
Schwertkämpferin, die ebensogut mit Pfeil und Bogen umgehen
konnte, und die einem Mann in Wendigkeit und Mut nicht nachstand.
Osira war Ghanors erste Frau. Und obwohl das Lovonsche Gesetz ihm
das Recht auf zwei weitere Gefährtinnen einräumte, hatte er
freiwillig darauf verzichtet.
Er liebte Osira über alles. Die Schönheit dieser Frau
mit dem flammend kastanienroten Haar und den hellgrünen Augen
vereinten sich mit Charme und Intelligenz und Klugheit, wie dies nur
selten der Fall war.
Osira lächelte nicht, als er sie küßte. Sie
krallte ihre Finger in seine Schultern und flüsterte: »Geh
nicht zum Fest! Es ist nicht vorgeschrieben, daß der Prinz von
Lovon daran teilnehmen muß. Mir wäre lieber, du
würdest die Nacht hier im Palast verbringen.« Ihre Stimme
klang besorgt.
Ghanor zeigte sich verwundert. »Was ist los, Osira?«
Er schob sie langsam zurück und blickte sie an. Sie senkte
den Blick.
»Die Sterne stehen nicht gut um Lovon«, murmelte
sie.
»Osira!« Er seufzte und nahm sie in die Arme. »Du
hast wieder zuviel über deinen Büchern gesessen und die
Schicksalsuhr der Gestirne studiert.«
Sie nickte. »Es war nicht verkehrt. Ich habe
aufschlußreiche Hinweise erhalten.«
»Hinweise, die falsch sein können. Du nimmst die Dinge
zu ernst. Ich habe dir das schon immer gesagt.«
»Ich hatte dreimal hintereinander denselben Traum, Ghanor.
Die Sterne über Lovon wurden rot, und Blut tropfte vom Himmel.
Ich habe dich mitten in der Wüste gesehen, gegen einen
furchtbaren Sturm ankämpfend. Dann kam der Regen aus Blut, und
er hat einen See gebildet, in dem du ertrunken bist.«
»Osira!« Er schüttelte den Kopf und tröstete
sie. »Alpträume können vorkommen. Aber sie brauchen
doch keine tiefere Bedeutung zu haben. Du steckst mitten in den
Problemen, die uns alle beschäftigen. Lovon hat Schwierigkeiten.
Wir sind dabei, es neu aufzubauen, die Angst von allen – und
damit auch von uns selbst zu nehmen. Was hat dein Traum mit dieser
Festnacht zu tun, in der alle fröhlich sein werden bis auf die
Frauen, die – leider – nicht daran teilnehmen
dürfen?«
»Ich weiß es nicht, Ghanor. Ich kann es nicht
begründen. Nur eines fühle ich mit erschreckender
Gewißheit: in dieser Nacht wird etwas geschehen. Es würde
nicht passieren, wenn du hier im Palast bliebst.«
Er lächelte und versuchte sie zu beruhigen. Es blieb bei
diesem Versuch. Osira war nicht zu
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