Macabros 061: Wenn Shimba Loos Todesruf erschallt
im
Selbstgespräch. Einige Passanten drehten sich nach ihm um,
kümmerten sich aber nicht um den Mann.
Ein Betrunkener, der Selbstgespräche führte, dachten
sie, so was gab’s.
»Dann töte deine Kundin!« befahl die Stimme und
schwieg.
Charles Gerlon konnte diesem Befehl nicht mehr entrinnen. Er
würde seinen Auftrag durchführen.
Meard Street, dachte er. Sie wohnt Meard Street dreiundvierzig.
Mary Cornwall – sie wird sich wundern, wenn ich sie schon heute
abend besuche…
Charles Gerlon kam es keinen Augenblick in den Sinn, daß er
sein Geschäft ruinierte, wenn er seine wichtigste Kundin
tötete. In diesen Minuten zählte für den
Kunsthändler sein Geschäft nicht mehr. Seine alte Existenz
war vorüber, das spürte er mehr als eindringlich. Aber was
würde die Zukunft bringen?
Gerlon passierte eine Straßenkreuzung, er achtete peinlich
genau auf die Beschilderung.
Endlich las er den gesuchten Namen auf einem Straßenschild:
Meard Street!
Schwankend und gleichgültig lief er weiter.
Über den Haustüren erkannte der Amerikaner verschmutzte
Nummernschilder. Oft waren die Zahlen kaum zu erkennen, aber Gerlon
preßte seine Augen zusammen, um sein Ziel zu erreichen.
Der Dämon, der von ihm Besitz ergriffen hatte, trieb ihn
voran.
Endlich befand er sich vor dem Haus mit der Nummer dreiundvierzig.
Er brauchte nur noch die Treppen hochzusteigen und den Befehl der
Geisterstimme auszuführen.
»Genau das erwarte ich von dir!« meldete sich sein
unsichtbarer Begleiter wieder direkt aus Gerlons Gehirn. »Warum
zögerst du noch?«
Der Amerikaner erwiderte nichts. Mehrere Parteien lebten in dem
Haus. Gerlon studierte die Klingeltafel.
Sofort stach ihm der Name seines Opfers in die Augen. Mary
Cornwall wohnte im zweiten Stock. Der Name der Frau stand
handgeschrieben hinter einer durchsichtigen Plastikfolie.
Offensichtlich stand Mary Cornwall allein.
Gerlon betätigte den Klingelknopf. Gleichzeitig drückte
er mit der linken Hand die Türklinke. Die massive Holztür
ließ sich öffnen.
Der Türsummer schwieg noch. Entweder hatte Mary Cornwall
nicht gehört, oder die Klingel funktionierte nicht.
Ohne die Beleuchtung einzuschalten, schlich der Kunsthändler
durch den stockdunklen Korridor. Die Treppe knarrte unter seinen
Füßen.
Auf halber Höhe zum ersten Stock drang durch ein Fenster
Licht ins Treppenhaus. Die spärliche Beleuchtung reichte
für den Mörder aus.
Ähnlich einer Katze hatten seine Augen sich sofort an die
Dunkelheit gewöhnt. Aus diesem Grund – und weil die fremde
Macht, die sein Denken und Handeln fast gänzlich übernommen
hatte, ihn leitete – konnte er auf das Licht verzichten.
Sicher schritt der Mann die Stufen hoch, die zu Mary Cornwalls
Wohnung führten…
*
Zur gleichen Zeit wälzte sich in Frankfurt ein Mann unruhig
in seinem Bett hin und her. Sein Atem ging keuchend.
Schweißperlen liefen über seine Stirn. Sein ganzer
Körper transpirierte.
Frank Morell lebte zwei Leben: Einmal war er der biedere
Konstrukteur, zum zweiten der geheimnisvolle fliegende Mann, nach
dessen Identität man jagte.
Seine Träume hatten ihn auf seine Vergangenheit hingewiesen,
auf die Tatsache, daß er ein Dykte war, eine
außerirdische Intelligenz, die bereits vor vielen Jahrhunderten
gelebt hatte. Dann waren die Dykten durch dämonische
Einflüsse ausgerottet worden, und Morells
Vergangenheitsidentität hatte sich auf eine lange Reise
begeben.
Auf der Erde war der Dykte schließlich wiedergeboren worden.
In Frank Morells Körper hatte die astrale Odyssee ein Ende
gefunden.
Erst im Alter von neunundzwanzig Jahren hatte Frank Morell seine
zweite Identität entdeckt. Seitdem war er nicht nur ein Mensch,
sondern auch Mirakel, der Dyktenmann…
Träume hatten Frank Morell damals – vor noch relativ
kurzer Zeit – auf die Spur seines Alternativ-Ichs gebracht. Und
Träume plagten Frank Morell wieder.
Zeichnete sich eine neue Entwicklung ab, die für Morells
Leben von einschneidender Bedeutung sein sollte?
Immer wieder wechselte Frank von einer Ruhelage in die andere
– mal schlief er links, dann wieder rechts.
Die Bettdecke lag auf dem Boden. Ab und zu schlug er
gestikulierend an die Wand, an der das Bett stand. Es sah aus, als
wolle er etwas von sich fernhalten – einen Dämon, eine
unsichtbare Macht vielleicht?
Morells Alptraum schlug seinen Geist in Fesseln, so daß er
sich nicht um seinen Körper kümmern konnte, ja nicht mal
spürte, daß er sich Schmerzen zufügte. Er
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