Macabros 079: Die Nachtseelen von Zoor
Haus war nicht
verschlossen.
Der Mann konnte sie öffnen.
Er blickte in eine quadratische Kammer, in der allerlei Gerumpel
und Gartengeräte lagen.
Gleich neben der Tür stand ein aufgebockter Leiterwagen, von
dem die Räder abmontiert waren.
Irgendwo im Gerumpel raschelte es.
Ratten oder Mäuse waren am Werk.
Es roch muffig.
Marcel Leclerque drückte leise die Tür ins Schloß
und setzte die Inspektion der Umgebung fort.
Im Schutz der Büsche, Bäume und zunehmenden Dunkelheit
näherte er sich bis auf Steinwurfweite dem Wohnhaus.
Seltsam…
Noch immer war kein Licht im Haus eingeschaltet.
Er lief nach vorn. Das Haus hatte eine senfgelbe Farbe und war vor
kurzem erst renoviert worden. Dunkel stach das frisch gebeizte Holz
von der Hauswand ab.
Eine halbrunde Terrasse, die mit niedrig geschnittenen
Buchsbäumen umsäumt war, klebte an der Rückwand des
Hauses. Hier waren die Fenster tief bis auf die Bodenplatten
herabgezogen und die dunkelgrünen Läden geschlossen.
Das Haus machte den Eindruck, als wäre es verlassen.
Marcel Leclerques Gedanken rasten.
War in der Zwischenzeit etwas Neues hinzugekommen? War Jacques
Belmonds Verdacht doch gerechtfertigt?
Leclerque unterbrach seine Gedankengänge abrupt.
Nein! Da war jemand im Haus…
Er vernahm ein Geräusch.
Der Privatdetektiv sprang über die niedrige Hecke hinweg,
landete auf der Terrasse und huschte zu einem der geschlossenen
Fenster.
Er spähte durch die Schlitze im Laden.
Leclerque glaubte seinen Augen nicht trauen zu können.
Mitten in einem saalartigen Raum, in den das letzte Tageslicht
durch die Schlitze der Klappläden fiel, standen dicht
nebeneinander – drei schwarze Särge…
*
Welches Drama hatte sich in diesem Haus abgespielt? Kam er zu
einem Zeitpunkt, wo die Dinge bereits ihren Höhepunkt
überschritten hatten?
Es blieb keine Zeit, sich weitere Gedanken über das makabre
Phänomen zu machen.
Von der gegenüberliegenden Seite des Hauses vernahm er ein
metallisches Klappen. Es hörte sich an, als ob ein Garagentor
geöffnet wurde.
Gleich darauf erfolgte das Geräusch eines startenden
Fahrzeuges.
Leclerque lief um das Haus und sah, daß von der
gegenüberliegenden Seite aus einer Garage ein kleiner Lkw
rollte. Der Fahrer steuerte den Wagen bis vor die Haustür, die
in diesem Moment von innen wie durch Geisterhand geöffnet
wurde.
Von seinem Beobachtungsplatz aus sah Leclerque die Gestalt auf der
Türschwelle.
Es war eine ältere Frau mit braunem, von grauen Strähnen
durchsetzten Haar, die dunkel gekleidet war, so daß sie sich
von der Düsternis im Haus kaum abhob.
»Ein bißchen näher!« hörte der
Beobachter ihre Stimme.
Sie klang dumpf und unangenehm.
»Oder willst du die Totenkisten erst noch ums ganze Haus
’rumschleppen?« fuhr die Sprecherin unvermittelt fort.
Der Fahrer, der seinen Kopf seitlich aus dem Fenster gestreckt
hatte, murmelte etwas in seinen Bart, das Leclerque nicht verstehen
konnte.
Das Auto wurde bis einen Meter vor den Hauseingang gefahren. Dann
rastete die Bremse ein, und der Motor wurde ausgeschaltet.
Der Fahrer verließ das Führerhaus. Von seinem
Beobachtungsplatz aus konnte der Privatdetektiv einen Blick auf den
Mann werfen, der mit der ältlichen Frau in der Dämmerung
des Korridors verschwand.
Der Mann war bedeutend jünger, sehr kräftig, trug ein
offenes, kariertes Sporthemd und abgewetzte grüne Cordhosen.
Kaum daß die beiden Gestalten in der Dunkelheit des Hauses
untergetaucht waren, löste Marcel Leclerque sich aus seinem
Versteck, um näher an den weit offen stehenden Hauseingang zu
kommen.
Was ging dort vor?
Leclerque hatte kein gutes Gefühl.
Der Korridor mündete in eine Art Empfangshalle, in der der
Franzose die Umrisse großer und offensichtlich kostbarer alter
Möbel wahrnahm. Von der Decke hing – mit schweren
Kettengliedern befestigt – ein Lüster herab, der genau in
Leclerques Blickfeld lag.
Dahinter gab es einen bogenförmigen Treppenaufgang, der auf
eine Galerie führte, von der aus vermutlich die oben liegenden
Räume zu erreichen waren.
Wer waren die Frau und der jüngere Mann, der das Auto
verlassen hatte? Zwei Angestellte? Leclerque hatte bisher die
Gesichter dieser beiden Menschen nicht sehen können, so
daß es ihm unmöglich war, sie mit den Konterfeis auf den
Fotos zu vergleichen, mit denen Jacques Belmond ihn versorgt
hatte.
Leclerque vermutete, daß es sich bei der Frau mit dem im
Nacken zusammengebundenen Haar um die Haushälterin handelte,
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