Macabros 105: Jagd auf den Horror-Götzen
geöffnet waren und verführerisch wirkten.
Das war Daiyana. Schön, elegant, begehrenswert.
Wie ihre Schwestern, so lebte auch sie nicht. Doch ihr Standbild
bestand nicht aus Stein, sondern aus einer Art Wachs
nachgebildet.
Wenn man sie sah, glaubte man, sie lebend vor sich zu haben. Sie
strahlte etwas Unaussprechliches aus, war ganz Weib, ganz
Erotik…
Sie unterschied sich nicht nur durch ihren farbigen Körper
von dem grauen, stumpfen Gestein aus dem ihre Schwestern bestanden.
Im Gegensatz zu diesen hatte sie schwarzes Haar, das dicht und seidig
über ihre Schultern fiel.
Wortlos ging Macabros so dicht an die schöne Daiyana heran,
daß er nur noch die Hand nach ihr auszustrecken brauchte. Seine
Finger glitten durch ihr dichtes Haar. Es knisterte bei der
Berührung.
Die drei Schwestern sagten nichts und beobachteten ihn nur. Sie
kannten Daiyanas Wirkung auf einen Sterblichen sehr gut.
»Wir haben ihr Bild, das ist uns genug…, es erfreut uns,
macht uns glücklich«, ertönte nach einer ganzen Weile
Beranas Stimme.
»Schöne wie Daiyana wird die Welt in Un wieder werden,
ein einziger blühender Garten, wenn einer kommt, der das
›Singende Fahsaals‹ veranlaßt, hierher
zurückzukommen…«
Macabros riß sich vom Anblick der Schönen los und hatte
das Gefühl, daß sie nur ganz allein für ihn da war,
daß ihr Blick ihm soviel zu sagen hatte. Ein seltsamer Zauber
ging von Daiyana aus, und er fragte sich, wie die Wirkung wohl erst
sein mußte, wenn ein Mann der wirklich lebenden, atmenden Frau
gegenüberstand.
»Wir haben dies Bild geschaffen – es ist eine
dreidimensionale Projektion, ein Schatten aus der vierten
Dimension«, ließ Berana ihn wissen, während er wieder
zu den drei versteinerten Zauberinnen ging. »Wir haben auch
Nomo, den Fährmann, geschaffen um deine Neugierde zu erwecken.
Soviel Macht wenigstens ist uns in dem abgestorbenen Un
geblieben… Schau auf den Boden! Dein Körper wirft einen
zweidimensionalen Schatten, einen Schatten, den man fühlen,
anfassen kann… wie Nomo, der euch neugierig
machte…«
»Und wie Dradon, der uns eine Warnung sein sollte«,
murmelte Macabros, der langsam zu verstehen begann.
»Aber er ist ein Widerspruch… Ihr sucht nach dem Weg,
wartet auf Hilfe von außerhalb Uns – und vertreibt doch
die, die euch helfen wollen. Durch Schreckensbilder in der Art –
Dradons…«
»Laß’ dich aufklären… Dradon war keine
Projektion, kein vierdimensionaler Schatten. Dradon war ein Teil der
Wirklichkeit Uns… Wir sind an dem Punkt angelangt, an dem wir
dir die ganze Wahrheit anvertrauen können, ohne – so hoffen
wir jedenfalls – dich damit aus Un zu vertreiben.
Du kennst unsere Situation. Wir haben einst unsere Kräfte
durch das ›Singende Fahsaals‹ erhalten. Un war ein Garten
Eden. Rha-Ta-N’my hat mit List und Tücke den Platz
vergiftet, das ›Singende Fahsaals‹ vertrieben und das
Gerücht in Umlauf gesetzt, das du kennengelernt hast.
Es gibt den blutroten See, aber nicht das ›Singende
Fahsaals‹ auf dessen Grund… das ist nichts als eine Falle,
um den Wächter, ihren Wächter, zufriedenzustellen
und ihm die Opfer zu schicken, nach denen er sich sehnt. Sein
Lebenszweck ist es, die abzufangen, die das ›Singende
Fahsaals‹ suchen. Er verwickelt sie immer in einen Kampf. Die
einen schlägt er damit, indem er ihnen angeblich die Plagen vom
Hals hält – sie ihnen aber in Wirklichkeit schickt. So
starb Dradon. Andere wiederum macht er glauben, sie hätten ihn
im Schwertkampf besiegt. Dann gibt er sich geschlagen – und
macht den Getäuschten den Vorschlag, sein Leben zu schonen.
Dafür will er sein Wissen preisgeben. Der Wächter
behauptet, er besitze den Schlüssel zum ›Singenden
Fahsaals‹ – und der so Getäuschte läßt ihn
dann frei. Aber dem Gutgläubigen widerfährt Schlimmes. Er
wird in den See gelockt und kehrt nie wieder. Der Wächter und
der See verschwinden. Denn der See ist nur eine Täuschung, um
die anzulocken, die sich wirklich für das ›Singende
Fahsaals‹ interessieren und von denen man erwarten könnte,
sie finden es vielleicht… aber daran ist Rha-Ta-N’mys
Wächter nicht interessiert…«
In diesem Zusammenhang erfuhr Macabros noch mehr.
Keine der versteinerten Schwestern war in der Lage, ihm das
›Singende Fahsaals‹ zu beschreiben. Sie hatten es nie
gesehen und wußten nur, daß es Un mit seiner Anwesenheit
beglückt hatte.
Es verließ den Ort, als Rha-Ta-N’mys Einflüsse
sich bemerkbar machten und
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