Macabros 106: Die gläsernen Dämonen von Etak
warum?«
Marie dachte verzweifelt über alles nach und hatte das
Gefühl zu träumen. Doch dann kehrte die Erinnerung wieder
zurück.
»Das wissen wir noch nicht genau. Wahrscheinlich haben Sie
sich überanstrengt…«
»Ohnmächtig?« Marie Rouvier dachte darüber
nach, wie alles gekommen war. »So etwas… ist mir noch nie
passiert…«
»Irgendwann ist es immer das erste Mal. Können Sie mich
schon sehen?«
Marie Rouvier preßte zweimal die Augen zusammen. Helligkeit
und Schatten stuften sich nun besser voneinander ab. Dann gewahrte
sie endlich den Mann.
Er war mittelgroß, trug einen weißen Kittel, eine
dezent gemusterte Krawatte und lächelte sie freundlich an.
»Ich bin Dr. Chabrol«, stellte er sich vor.
»Ich heiße Marie Rouvier.«
»Ja, das wissen wir bereits. Ihr Freund, Monsieur Lescot, der
Sie hier abgeliefert hat, hat uns Ihre Daten angegeben.«
»Raoul! Wo ist er?«
Achselzucken. »Er ist sofort wieder gegangen,
Mademoiselle…«
Marie Rouvier schluckte. »Sofort… wie – der…
gegangen?« echote sie und wollte es nicht wahrhaben. »Aber
– er kann mich doch nicht… einfach so allein hier
zurücklassen…, ohne zu wissen…«
»Er wollte wiederkommen«, sagte der Arzt schnell.
»Es hätte ohnehin keinen Sinn gehabt, wenn er sich
länger hier aufgehalten hätte… Er wollte wieder
anrufen.«
Sie nickte wie abwesend. »Wie lange bin ich schon
hier?«
»Seit zwei Stunden.«
»Solange war ich…«
»Oui, Mademoiselle.«
»Was haben Sie mit mir gemacht?« Sie spürte, wie
ihre Kräfte und das Wahrnehmungsvermögen der Sinne rasch
zurückkehrten.
»Nur sehr wenig. Sie sind nicht organisch krank,
Mademoiselle, soviel steht fest. Ihre Bluttestwerte sind hervorragend
ausgefallen und eine Röntgenaufnahme des Kopfes blieb ebenfalls
negativ.«
»Dann war die Ohnmacht – ein einmaliger
Vorgang?«
»Möglicherweise«, drückt sich Dr. Chabrol
vorsichtig aus.
»Es kann also wieder auftreten?« hakte sie sofort
nach.
»Kann… ist aber unwahrscheinlich. Wie fühlen Sie
sich momentan, Mademoiselle?«
»Ausgezeichnet, danke.«
»Wunderbar. Fühlen Sie sich in der Lage, einige Fragen
zu beantworten?«
»Selbstverständlich. Ich denke, ich bin nicht
krank?«
»Um ganz sicher zu sein, sollten wir uns ein wenig
unterhalten.« .
Chabrol zog sich einen Stuhl heran. Marie Rouvier richtete sich in
ihrem Bett auf. Sie stellte fest, daß sie allein in dem kleinen
Zimmer lag.
Die Vorhänge waren nicht geschlossen. Die Patientin konnte
auf einen kleinen Park hinaussehen. Das Licht aus ihrem Fenster
schimmerte auf den Büschen und Bäumen und ließ die
Blumen erkennen, die den Rasenrand säumten. Ein Kiesweg
führte in die Dunkelheit.
Erst jetzt stellte Marie Rouvier fest, daß sie ein einfaches
Leinennachthemd trug, das wahrscheinlich Eigentum des Saint
Lucy-Hospitals war.
Dr. Chabrol wollte wissen, auf welche Weise sich der Anfall
bemerkbar gemacht hätte und ob in der Vergangenheit irgendwann
mal ein solcher Anfall aufgetreten sei.
»Ich kann mich nicht daran erinnern…« Sie
erwähnte den Druck auf den Kopf, die Übelkeit. Er musterte
sie und ließ sie sprechen.
»Monsieur Raoul, der Sie hierher brachte«, sagte er dann
vorsichtig, als sie geendet hatte, »sagte auch etwas von
Bildern, die Sie gesehen haben…«
Die Frau fühlte sich ertappt. Sie merkte, wie sie rot wurde
und eine Hitzewallung durch ihren Körper ging.
Sie druckste herum, sah dann aber ein, daß es besser war,
die ganze Wahrheit zu sagen.
So berichtete sie schließlich von den Wahrnehmungen.
»Sie haben alles ganz deutlich gesehen?«
Marie Rouvier nickte. »Ja, als ob ich eine Tür
geöffnet hätte, um in einen Raum zu blicken. Ich sah in ein
Gewölbe, in dem sieben Särge standen…« Sie
schluckte. »Kann es sein, daß es eine Art – Vorahnung
ist? Eine Warnung, die für irgend jemand bedeutsam
ist?«
»Möglich.«
»Ist es gefährlich für mich, solche Anfälle zu
bekommen? Kann ich dabei sterben?«
»Wenn Sie nicht gerade auf dem Dach eines Hochhauses stehen,
wohl kaum.«
Sie redeten noch eine Weile von den merkwürdigen Bildern und
Eindrücken, die sie gehabt hatten, die sie auch körperlich
belastet hatte. Dr. Chabrol schlug vor, die Sache nicht zu ernst zu
nehmen, sich aber in der nächsten Zeit mal besonders aufmerksam
zu beobachteten. Einen Grund, sie weiter im Krankenhaus wegen eines
Schwächeanfalls zu lassen, sah er nicht.
Sie fühlte sich kräftig und gesund, so wie immer, konnte
gehen und erhielt
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